Aphrodites Tränen - Hannah Fielding - ebook

Aphrodites Tränen ebook

Fielding Hannah

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Opis

Eine junge Archäologin gerät in ein Netz aus dunkler Besessenheit, Geheimnis und Verführung.

Im antiken Griechenland bestand eine der zwölf Aufgaben von Herakles darin, einen goldenen Apfel aus dem Garten der Hesperiden zurückzubringen.

Für die Archäologin Oriel Anderson scheint es ihr eigener goldener Apfel zu sein, als sie die Chance bekommt, sich einem Team griechischer Taucher auf der Insel Helios anzuschließen.

Doch der Traum wird zum Albtraum, als sie den teuflischen Besitzer der Insel, Damian Lekkas, kennenlernt. Schockiert erinnert sie sich an eine romantische Nacht in den Armen eines Fremden vor sechs Jahren. Doch nun steht ein ganz anderer Mann vor ihr.

Während sie die Schwerter kreuzen und Leidenschaften aufblühen, ist sich Oriel bewusst, dass böswillige Augen sie aus den Schatten heraus beobachten.

Dunkle Gerüchte werden über die Familie Lekkas geflüstert. Welche Gefahren liegen in Helios verborgen, einem bezaubernden Land, in dem noch alte Rituale durchgeführt werden, um die Götter zu besänftigen, junge Männer ihr Leben in den tückischen Tiefen des Ionischen Meeres riskieren, und die brüchige Erde jeden Moment auseinanderbrechen kann?

Wird Oriel die verborgenen Schätze finden, nach denen sie sucht? Oder wird Damians tragische Vergangenheit sie einholen und beide verschlingen?

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Kritiken zu Hannah Fieldings erstem Roman, Schwelende Glut:

„Eine epische Romanze, wie sie in Hollywood gemacht wird …“

Peterborough Evening Telegraph 

„Schwelende Glut ist ein romantisches Vergnügen und ein absolutes Muss für alle, die in eine Welt voller Farben, Schönheit, Leidenschaft und Liebe entfliehen möchten … Empfohlen für alle, die nicht nach Kenia reisen können.“

Amazon.co.uk review

„Eine gute, altmodische Liebesgeschichte … Eine Heldin, die jung und naiv ist und noch viel zu lernen hat. Ein Held, der ein heißes Alphatier ist, eine mysteriöse Vergangenheit und viele Frauen hat. Eine andere Zeit, Welt und Klasse. Die Art von Romantik, die Picknicks in verlassenen Tälern und Fahrten mit dem Heißluftballon und das Schwimmen in abgelegenen Seen beinhaltet. Himmlisch.“

Amazon.co.uk review

„Die Geschichte hat mich von Anfang an begeistert. Ich möchte wie Coral sein, in einer unschuldigeren Zeit an einem schönen, heißen Ort leben und mich in einen reichen, attraktiven Mann verlieben. Ich kann Hannah Fieldings nächstes Buch kaum erwarten.“

Amazon.co.uk review

Kritiken zu Das Echo der Liebe (Gewinner der Goldmedaille für Liebesromane bei den Independent Publisher Book Awards 2014):

„Einer der besten Liebesromane, die jemals geschrieben wurden … Eine epische Liebesgeschichte, wunderschön erzählt.“

The Sun

„Fans von Liebesromanen werden es in einer Sitzung verschlingen.“

The Lady

„Weist alle Elemente einer sehr guten romantischen Fiktion auf.“

BM Magazine

„Dieses Buch wird dazu führen, dass Sie sich wünschen, in Italien zu leben.“

Fabulous

„Das Buch ist die perfekte Lektüre für alle Leser, die eine Leidenschaft für Liebe, Leben und Reisen haben.“

Love it!

„Romantik und Spannung mit viel italienischer Kultur.“

Press Association

„Eine Geschichte mit Wendepunkten und voller Drama, Liebe und Tragödie.“

Italia!

„Es gibt viele wunderschön gestaltete Passagen, insbesondere die, die sich auf die Landschaft und Architektur der Toskana und Venedigs beziehen … Es war einfach, sich selbst an diesen magischen Orten vorzustellen.“

Julian Froment blog

Kritiken zu Indiskretion (Gewinner der Goldmedaille für Liebesromane bei den IBPA Benjamin Franklin Awards und in der Kategorie „Best Romance“ bei den USA Best Book Awards):

„Eine fesselnde Geschichte von Liebe, Eifersucht und Skandalen.“

The Lady

„Indiskretion fesselt von Anfang an. Alexandra ist eine betörende Heldin und Salvador ein überzeugender, charismatischer Held … Die schimmernde Anziehungskraft zwischen ihnen ist immer straff wie ein Faden. Eine kraftvolle und romantische Geschichte, die man einfach genießen muss.“

Lindsay Townsend – Autorin historischer Romane

„Eine reichhaltige Beschreibung, eine wunderschöne Kulisse, viele wundervolle Details, leidenschaftliche Romantik und das zeitlose, klassische Gefühl, das für puren, nachsichtigen Eskapismus sorgt. Ein Glücksfall!“

Amazon.co.uk review

„Ich dachte, Mrs. Fielding hätte sich mit ihrem zweiten Roman selbst übertroffen, aber mit diesem dritten hat sie es erneut geschafft. Diese Liebesgeschichte hat mir den Atem geraubt … Ich konnte das Buch kaum weglegen.“

Amazon.com review

Kritiken zu Maskerade (Gewinner der Silbermedaille für Liebesromane bei den IBPA Benjamin Franklin Awards):

„Geheimnisse und Überraschungen … im Spanien der 1970er-Jahre. Sie werden in dieser atmosphärischen Geschichte um Liebe und Täuschung versinken.“

My Weekly

„Hannah Fielding schreibt über Liebe, sexuelle Spannung und Sehnsucht mit einer erstaunlichen Zartheit und Üppigkeit. In diesem Roman steckt so viel von den Legenden und Überlieferungen der Zigeuner und den Überzeugungen Spaniens. Pferdeauktionen, sinnliche Träume, Stierrennen, Stierkämpfer, Schwimmen im Mondschein, Hitze und Blumen sowie Farben und Kostüme des Landes. Eine hervorragende Lektüre.“

Amazon.co.uk review

„Dies war ehrlich gesagt eines der ästhetischsten und sinnlichsten Bücher, die ich seit langer Zeit gelesen habe.“

Amazon.co.uk review

„Maskerade enthält die Art von Romantik, die Ihr Herz höherschlagen und Ihre Knie zittern lässt. Dies war eine faszinierende und dramatische Lektüre, die mich mit einem verträumten Gefühl zurückließ.“

Amazon.co.uk review

„Diese fesselnde, wunderschöne, romantische Geschichte war eine meiner Lieblingslektüren in jüngster Zeit. Dieses Buch hat Intrigen, Rätsel, Rache, Leidenschaft und verlockende Liebesszenen zu bieten, die den Leser gefangen halten und ihm keinen Moment Ruhe bei all den Drehungen erlauben … Wundervoll vom Anfang bis zum Ende.“

Goodreads.com review

Kritiken zu Vermächtnis (das letzte Buch der Trilogie Andalusische Nächte):

„Vermächtnis ist randvoll mit Familienskandalen, frustrierter Liebe und verborgenen Geheimnissen. Es ist kurzweilig, macht süchtig und wird Sie von Anfang bis Ende fesseln.“

The Lady

„Wunderschön geschrieben und absolut romantisch ist Vermächtnis der mit Spannung erwartete neue Roman der preisgekrönten Autorin Hannah Fielding, der den Reiz eines Sommers in Cádiz zum Leben erweckt.“

Take a Break

„In Anlehnung an Vom Winde verweht ist dieses Buch ebenso episch und zeitlos. Mit lebendigen Details geschrieben, kommen Sie sich vor, als ob Sie direkt in Spanien wären. Sie werden von den Sehenswürdigkeiten, Geräuschen und Gerüchen dieses schönen Landes verschlungen werden. Großartige Charaktere … und eine Handlung mit genug Wendungen, um sie in Bewegung zu halten … Fangen Sie einfach mit dem ersten Buch an. Die nachfolgenden werden immer besser. Ich bewundere Ms. Fieldings Erzählweise.“

Amazon.com review

„Grandioser Schreibstil und makellose Charakterbildung. Vermächtnis nimmt die Leser mit auf eine Reise durch die Leidenschaften und Wünsche, die aus der romantischen spanischen Kultur hervorgehen.“

Goodreads.com review

Ebenfalls von Hannah Fielding

Schwelende Glut

Das Echo der LiebeConcerto

Die Trilogie Andalusische Nächte:

IndiskretionMaskeradeVermächtnis

Erstveröffentlichung der Taschenbuch-Ausgabe und gebundenen Ausgabe in Großbritannien im Jahr 2018 durch London Wall Publishing Ltd (LWP)

Erstveröffentlichung der eBook-Ausgabe in Großbritannien im Jahr 2018 durch 1London Wall Publishing Ltd (LWP)

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Herausgebers reproduziert, in einer Datenbank oder einem Abrufsystem gespeichert oder in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise übertragen werden.

Copyright © Hannah Fielding 2018

Copyright © for German edition by Hannah Fielding 2020

Übersetzung: Martin Wick

Korrektur: Sandra J. Kade

Konsultationen: Thea Prüfer

DTP: Point Plus

Drucken und Binden: Colonel, Krakau, Polen

Das moralische Recht des Autors wurde geltend gemacht.

Alle Charaktere und Ereignisse in dieser Veröffentlichung, mit Ausnahme derjenigen, die eindeutig gemeinfrei sind, sind fiktiv, und jede Ähnlichkeit mit einer lebenden oder toten realen Person ist rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.

ISBN 978-83-956892-2-2

London Wall Publishing sp. z o.o. (LWP) Hrubieszowska 2, 01-209, Warschau, Polen

Gewidmet meinem lieben Sohn Christian. Sein Wissen über das antike Griechenland und seine Begeisterung für die griechische Mythologie waren der Wind unter meinen kreativen Flügeln beim Schreiben dieses Buches, genauso wie seine Unterstützung und Motivation.

… Dort war schmachtende Lieb’ und Sehnsucht, dort das Getändel,Und die schmeichelnde Bitte, die selbst den Weisen betöret.  

Ilias, Homer

Prolog

Kent, England, April 1977

„Dringend gesucht: Erfahrener Archäologe für die Leitung eines offiziell genehmigten Unterwasserprojekts in der Nähe einer kleinen Ionischen Privatinsel. Bewerber sollten tadellose akademische Zeugnisse und Erfahrung mit Unterwasser-Archäologie vorweisen können. Senden Sie Ihre Unterlagen an: Die Verwaltung, Postfach 7520, Athen, Griechenland“, stand in der Zeitungsannonce. Seltsamerweise waren dort keine weiteren Infos aufgeführt, bis auf einen fett gedruckten Satz am Ende: „Verschwenden Sie nicht Ihre oder unsere Zeit, wenn Sie nicht wirklich für diesen Job qualifiziert sind!“ Dieses Inserat war Oriel sofort ins Auge gesprungen, nicht nur, weil darin Griechenland erwähnt wurde, sondern auch aufgrund der arrogant anmutenden Schlussformulierung. Sie konnte sich gut eine aufdringlich herrische Stimme beim Diktieren dieser Worte vorstellen.

Dennoch: Es war eine faszinierende Vorstellung, auf einer sonnigen Privatinsel zu arbeiten, dachte Oriel sehnsuchtsvoll, als sie ihren Blick über die trostlose Landschaft von Kent wandern ließ, die sich vor ihrem Fenster erstreckte. Eigentlich war es bereits Mitte Frühling, doch das Wetter tat so, als ob es hier auf dem Land ewigen Winter gäbe. Sie war voller Hoffnung auf ein paar sonnige, entspannte Urlaubstage am Pool hierhergekommen, den es auf dem Grundstück ihrer Familie in Cranbrook gab. Inzwischen wohnte Oriel in London, wo sie sich ein Haus mit einigen alten Studienfreunden teilte. Da sie ein Einzelkind war, freuten sich ihre Eltern immer ganz besonders auf ihre seltenen Besuche und verwöhnten sie nach Strich und Faden. Oriels Beruf als Archäologin brachte es mit sich, dass sie den größten Teil des Jahres über im Ausland unterwegs war und zu verschiedenen Ausgrabungsstätten auf der ganzen Welt reiste.

Sie nippte an ihrem kochend heißen Kaffee und betrachtete ihr Kinderzimmer, in dem sie an ihrem alten Schreibtisch saß, mit neuer Aufmerksamkeit. Seit sie ein Teenager war, hatte sich hier nichts geändert. Nachdenklich strich sie die Seite der zusammengefalteten Tageszeitung glatt. Nostalgische Erinnerungen krochen langsam, aber beharrlich zurück in ihr Bewusstsein.

Griechenland. Es lag schon lange zurück, dass sie zuletzt in diesem Teil der Welt war.

Oriel seufzte wehmütig, als sie sich gedanklich sechs Jahre zurückversetzte, auf die kleine griechische Insel Ägina. Der Himmel hatte sie in dieser Nacht wie ein samtig-dunkler Vorhang umgeben, erleuchtet vom atemberaubend silbrigen Licht des vollen Monds, das mit seinen Strahlen wie eine Treppe aus Licht aus dem mitternachtblauen Meer hinauf in den Himmel führte. Es war eine Nacht wie geschaffen für ein wundervoll romantisches Treffen, aber nicht für einen Abschied. Ihr war die allgegenwärtige Stille bewusst geworden, nur gelegentlich durchbrochen vom flüsternden, rhythmischen Plätschern kleiner Mittelmeerwellen, die auf den in Schwarz gehüllten Strand trafen – ein beruhigendes Geräusch. Wie komisch es ist, dass unsere Erinnerungen so selektiv sind, dachte sie, als dieses Kapitel ihres Lebens in Oriels Kopf zu neuem Leben erwachte, mit jedem noch so kleinen Detail.

Im Alter von 22 Jahren war Oriel auf Ägina gewesen, als Teil ihrer Jahresaufgabe für den Master-of-Arts-Abschluss in Archäologie und Anthropologie, um die sardonischen Inseln zu studieren. Es war ein langer Tag an der Ausgrabungsstelle gewesen, der sich noch zusätzlich in die Länge gezogen hatte, weil ihr Verlobter Rob seine Ankunft für den Abend angekündigt hatte und sie das Wiedersehen kaum erwarten konnte. Oriel hatte sich so auf die gemeinsame Woche Urlaub gefreut, die sie auch zum Schmieden von Hochzeitsplänen nutzen wollten. Der liebe, zuverlässige Rob, der sie wie ein ebenbürtiger Partner behandelte und ihren beruflichen Ehrgeiz voll unterstützte, der sie dazu trieb, sich in einer Männerdomäne behaupten zu wollen. In Cambridge hatte Oriel schon die Avancen und Angriffe vieler junger Männer abwehren müssen, die sie einfach unterschätzten. Dann war Rob in ihr Leben getreten. Es waren längst nicht nur sein gutes Aussehen, seine Intelligenz und sein Charme, in die sie sich verliebt hatte – seit ihrem ersten Treffen auf dem Unigelände waren sie feste Freunde gewesen.

Als Oriel spät an diesem Nachmittag zu ihrem Hotel zurückgekehrt war, hatte sie überrascht, aber auch aufgeregt freudig den Briefumschlag gesehen, der in Robs vertrauter Handschrift an sie adressiert war. Als unheilbare Romantikerin war es ihr schwergefallen, ihn nicht sofort aufzureißen. Stattdessen war sie mit dem Brief zum Strand hinuntergegangen, um ihn dort in der magischen Stunde zu lesen, wenn die Sonne unterging und sich glutrot auf dem Meer spiegelte.

Vielleicht war aber genau das der Grund dafür gewesen, warum der Inhalt des Briefes so niederschmetternd auf Oriel gewirkt hatte.

Lange stand sie einfach nur starr vor Schock da, mit dem Brief in der Hand. Ein Gefühl des Unwohlseins kroch in ihr hoch und lähmte sie. Nach dem Überfliegen einiger Entschuldigungsfloskeln und Ausreden hatte sie seine letzten Zeilen immer wieder gelesen, weil sie kaum glauben konnte, was die Worte bedeuteten: „Ich weiß nicht, wie ich es schreiben soll, aber ich muss dir etwas sagen und habe keine andere Wahl. Ich bin mir absolut sicher, dass du uns verstehen und verzeihen wirst, süße Oriel. Bitte glaube mir, dass Alicia und ich unsere Gefühle füreinander lange bekämpft und monatelang unterdrückt haben, doch irgendwann ging das einfach nicht mehr, und wir mussten uns ihnen stellen. Wir konnten wirklich nichts dagegen tun, weil wir uns ineinander verliebt haben. Alicia ist mit meinem Kind schwanger, nächsten Monat heiraten wir.“ Rob und Alicia. Ihr Verlobter und ihre beste Freundin – wie fantasielos! Oriel hatte beiden immer vorbehaltlos vertraut. Nun starrte sie schockiert und mit wachsender Übelkeit auf das unschuldige Stück Papier, das solch eine grausame und bittere Überraschung für sie enthalten hatte, und konnte es immer noch nicht glauben. Erst später sollte ihr klar werden, dass sie Mitschuld an dieser Katastrophe trug, doch das linderte ihr intensives Gefühl von Bitterkeit, Einsamkeit, Verrat und Enttäuschung nicht. Sie hatte keinen Zweifel, dass ihre eher idealisierten und altmodischen Ansichten in Sachen Liebe und Sex zu einem Großteil dazu beigetragen hatten, Rob in Alicias verführerisch lockende Arme zu treiben. Es war Oriel wichtig, dass ihr weißes Hochzeitskleid und der dazugehörige Schleier noch ihre ursprüngliche Bedeutung an ihrem Hochzeitstag haben sollten: Zeichen sexueller Unschuld und Reinheit – so, wie es auch bei der Heirat ihrer Mutter der Fall gewesen war. Rob hatte zwar aufrichtig und verständnisvoll geduldig gewirkt, sich dann aber doch auf die Suche nach einer leichteren Beute gemacht. Im Rückblick war ihr klar geworden, dass irgendwie immer etwas gefehlt hatte: Robs Küsse hatten sie nie innerlich so berührt, wie sie sich das vorher vorgestellt hatte. Selbst seine Zärtlichkeiten hatten sie nie an den Rand eines Kontrollverlustes gebracht, so wie es in Momenten echter Leidenschaft vielleicht hätte sein sollen. In Oriel schlummerten viel tiefere Gefühle und ein Verlangen, das Rob nie hatte erwecken können. Vielleicht war es ihr gerade auch deshalb so leichtgefallen, an ihrer Unschuld festzuhalten …

Nun waren ihre Augen wieder auf das große Inserat gerichtet. Wieder in Griechenland zu sein war allein schon ein betörender Gedanke. Und dann noch eine Unterwasser-Mission! Ihr Bleistift umrandete die Worte immer und immer wieder. Ein Job wie für sie gemacht! Soeben hatte sie einen Ausgrabungsauftrag in der mittelalterlichen Stadt Trondheim in Norwegen erfolgreich abgeschlossen und war bereits in der engeren Auswahl für eine weitere Position in der Nordsee, in der Nähe der Shetlandinseln. Ein weiterer dunkler und nasser Ort, dachte Oriel ohne Begeisterung. Dennoch, die herrischen Worte der Stellenanzeige forderten sie heraus, und natürlich lockten auch die Sonne sowie die wunderschönen, wechselvollen Farben des Mittelmeers. Außerdem war es nicht Ägina, und Oriel war jetzt 28 Jahre alt – viel weiser und erfahrener als die junge Frau, die damals so sehr verletzt worden war.

Letztendlich war es nicht nur Rob, der verantwortlich für ihren Schmerz war …

Ihre Gedanken wanderten zurück zu diesen entfernten Erinnerungen. In nur einer Nacht hatte sie ihre unbekümmerte Lebensfreude verloren und war ernüchternd schnell erwachsen geworden. Ihre ganze Lebensphilosophie wurde fortan durch den Willen angetrieben, nie wieder so verletzt zu werden. Sie konnte sich an alles noch so genau erinnern: Wie sie auf einem Felsen mit dem Brief in der einen und dem Paar-Foto aus ihrem Portemonnaie in der anderen Hand gesessen und versucht hatte, ihr Zittern unter Kontrolle zu bringen, das sie übermannt hatte, als tauber Schock den Weg für Wut freigegeben hatte. Während sie mit leerem Blick auf den Horizont starrte, wo die Laternen kleiner Fischerboote auf dem dunklen Wasser wie Glühwürmchen tanzten, war Oriel plötzlich wie geblendet gewesen von einer schrecklichen Selbsterkenntnis und der schlimmsten Form von Verachtung. Verachtung, die gegen sie selbst gerichtet war. Was für eine absolut naive Idiotin sie doch war, mit ihren einfältigen Hoffnungen und Träumen und ihrem komplett unrealistischen Idealismus. „Ich weiß, dass du uns verstehen und vergeben wirst“, hatte er sich angemaßt zu schreiben. Also waren sie ein „uns“, eine Einheit. Es handelte sich um einen doppelten Betrug ihres Vertrauens, ihrer Freundschaft und ihrer Liebe. Sie musste so etwas wie eine Witzfigur für die beiden sein, sicher amüsierten sie sich köstlich über Oriels Naivität. Der Stachel der Demütigung saß zu tief für Tränen. Oriel war außer sich vor Zorn, ihr Körper zitterte vor unkontrollierbarer Wut und Schande, und ihr wurde klar, dass sich diese negativen Gefühle längst nicht nur gegen die beiden richteten. Sie war auch wütend auf sich selbst und frustriert, weil ihre Wut kein Ventil fand.

Oriel hatte lange auf dem Felsen gesessen und gedankenverloren auf das Wasser gestarrt, als sie plötzlich eine Bewegung in den Untiefen wahrnahm. Mittlerweile war der Mond hinter einer Wolkenbank verschwunden und mit ihm das Glitzern der Wellen sowie der silbergraue Schimmer der Steine. Die Veränderung der Dunkelheit am Nachthimmel machte es schwer zu erkennen, was die Wasseroberfläche in Bewegung gebracht hatte. Vielleicht ein nächtlicher Taucher, dachte sie, oder der leichte Wellengang des Meeres in der warmen, salzigen Brise. Oriel verschwendete keinen weiteren Gedanken daran und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die blinkenden Lichter der Fischerboote am Horizont – bis er ganz plötzlich vor ihr auftauchte …

Es war ein Mann, aber er trug weder einen Taucheranzug noch Schwimmflossen oder eine Tauchermaske, sondern war fast nackt, seine Scham nur knapp bedeckt von etwas, das beim besten Willen nur als dürftige Entschuldigung für enganliegende Low-Rise- Boxershorts gelten konnte. Er war real, nicht bloß eine optische Täuschung. Schlank und elegant sprang er urplötzlich aus dem Wasser und schüttelte Wassertropfen von seinem muskulösen Körper ab wie Poseidon, der aus den Wellen emporstieg.

Oriel blieb der Atem weg, als sie ihn beobachtete, und sie runzelte leicht die Stirn. Ein merkwürdiges Gefühl von Besorgnis überkam sie. In der fast völligen Finsternis sah der Mann breit, etwas bedrohlich und verstörend maskulin aus, als er durch das seichte Wasser am Ufer watete. Ihn umgab eine Aura von unbestrittener Dominanz, eine arrogant anmutende Kraft, die sich in den kontrollierten Bewegungen seines Körpers zeigte, als er über den Strand schlenderte.

Eine schicksalshafte Minute lang war sie gänzlich hilflos, gefangen in Gefühlen, die zu elementar waren, um sich durch rationale Gedanken kontrollieren zu lassen. Anstatt sich schnell umzudrehen und zu verschwinden, starrte Oriel den Fremden weiter an, der vor ihren Augen am Strand erschienen war wie ein griechischer Gott aus den Tiefen des Meeres. Der Mond war nun wieder zu sehen und warf einen silbrigen Glanz über seine langen, muskulösen Beine und seine schlanken Hüften, breiten Schultern und den wie in Marmor gemeißelten Oberkörper, alle vereint in einer energiegeladenen athletischen Pose. Als sein sich ihr nähernder Körper besser erkennbar wurde, schimmerte jede glatte, sich anspannende Kurve seiner Muskeln, jede lange Linie von Knochen oder Sehnen und jedes kantige Detail seiner beeindruckenden Erscheinung mit einer Intensität, die Oriel genau ins Herz traf. Haare so dunkel wie die Seele des Teufels fielen nass über seine Stirn, und er hob seine Hand, um sich davon zu befreien. Das Mondlicht traf jeden einzelnen Tropfen und ließ sie wie Diamanten auf seiner gebräunten Haut glitzern.

Oriel zwang sich dazu, ihre Gedanken zu fokussieren, und ihr wurde bewusst, dass auch sie nur allzu leicht bekleidet war in einem Sarong aus Musselin über ihrem Bikini. Sie erinnerte sich an die Warnung ihrer Mutter, nicht als Frau allein an einen verlassenen Strand zu gehen und stand schnell auf, um in ihr Hotel zurückzueilen. Den Brief und das Foto versteckte sie schnell in ihrem Sarong.

Zu spät! Sie war kaum einen Schritt gegangen, als sie von einer großen, dunklen Figur konfrontiert wurde. Weit größer gewachsen als ein durchschnittlicher Grieche, überragte er sie, eine dunkle Silhouette vor dem mondhellen Himmel. Seine Augen leuchteten wie Stahl im Verhältnis zu seiner tief gebräunten Haut, und sein Blick wanderte neugierig über sie, bis er auf ihren vollen Haaren verweilte, die in glänzenden hellen Wellen ihren Rücken bedeckten. Der Fremde hatte ein kantiges, männliches Gesicht, mit einem ziemlich unverschämten und etwas primitiven Gesichtsausdruck, der sie irgendwie merkwürdig anzog, und das trotz ihrer instinktiven Furcht vor diesem unbekannten Adonis.

„Was führt so ein hübsches Mädchen allein an so einen verlassenen Ort in dieser magischen Nacht?“, fragte er auf Englisch. Sein breiter griechischer Akzent gab seiner tiefen Stimme eine attraktive, rauchige Note und ließ ihr Schauer wohliger Wärme über den Rücken laufen. Nachdem er sein nasses Haar noch einmal aus der Stirn gestrichen hatte, betrachtete er sie unverhohlen. „Du siehst wie die Meeresnymphe Kalypso aus, die Odysseus auf ihrer Insel erwartet – bereit dazu, ihn zu verzaubern mit ihrer unwiderstehlichen Stimme.“

Oriel war zu geschockt, zu überrascht und zu alarmiert, um gleich antworten zu können. Seine Anmerkung hatte sie komplett auf dem falschen Fuß erwischt, und seine glitzernden grauen Augen schienen sie gefangen zu halten mit ihrem amüsierten, manchmal allzu intensiven Charisma. In Wahrheit war Oriel es, die hier verzaubert wurde.

„Ich dachte, ich wäre allein“, murmelte sie, sobald sie endlich ihre Stimme wiedergefunden hatte.

Sein Mund zuckte. „Genau das dachte ich auch.“ Er nickte hinter sich. „Ich habe da hinten Anker gelegt, weil ich zur Erfrischung schwimmen gehen wollte. Der Tag war sehr heiß.“ Sein Blick kehrte zu ihr zurück, intensiv und sie begutachtend.

Oriels Blick wich ihm aus, dabei bemerkte sie ein kleines Boot, das links von ihr an den Felsen angebunden war. Teilweise verdeckt von den zerklüfteten Felsen, die die verlassene Bucht bildeten, konnte sie nur die obere Hälfte des Segels erkennen, das sanft in der milden Brise flatterte. Sie war viel zu versunken in ihren düsteren Gedanken gewesen, um seine Ankunft zu bemerken.

Sie fühlte das Bedürfnis, sich an dem gutaussehenden Fremden vorbeizudrängeln und sich schnell in ihrem Hotelzimmer in Sicherheit zu bringen, doch irgendetwas an ihm lähmte und faszinierte sie zugleich. Die beeindruckende Stärke seiner Persönlichkeit fesselte sie und regte ihre Fantasie an. Dieser Fremde sah aus, als ob er direkt aus Homers Odyssee zum Leben erweckt worden war.

Eine seidene, platinblonde Locke schlüpfte aus dem Schal heraus, den sich Oriel zur Bändigung ihrer wilden Mähne um den Kopf gebunden hatte, und eine Brise blies sie ihr ins Gesicht. Er streckte eine bronzefarbene Hand mit langen, spitzen Fingern aus und strich ihr die Strähne zärtlich aus dem Gesicht, bevor er ihr fast andächtig über die langen Haare streichelte. Sein Blick hatte nun ein sinnliches Feuer inne und wanderte langsam von ihren Haaren hinab zu ihrem Mund, bis er auf Oriels hübschen Rehaugen verweilte, die ihn ihrerseits fixierten. Ihr Magen verkrampfte sich, und sie fühlte die Hitze des Augenblicks in ihr hinaufsteigen.

Sie verspürte den Drang wegzulaufen wie ein Rehkitz, das panisch ins Dickicht rennt. Dennoch stand sie einfach nur da, mit rasendem Puls und zitternden Beinen, während ein unbekannter, aber delikater Sinneseindruck den unteren Teil ihres Körpers übermannte. Es war der helle Wahnsinn! Noch nie zuvor hatte sie sich mit solch einer Intensität bedroht, fast schon betört gefühlt. Wahrscheinlich lag es an der Inselluft, die ihr zu Kopfe gestiegen war wie ein verführerischer Zaubertrank.

Die dunklen Wellen plätscherten leise, als sie auf den Sand am Strand trafen; ihre sanft rollenden Spitzen leuchteten silbrig blau im Mondlicht. Alles wirkte irgendwie unwirklich, als ob die beiden in einem Traum gefangen wären. Oriel spürte, dass der mysteriöse Fremde vor ihr sich der besonderen Spannung zwischen ihnen genauso bewusst war.

Seine Finger berührten immer noch ihre Haare, und sie schreckte zurück. Dieser Mann war so überwältigend, dass sie ganz verwirrt war. In einer plötzlichen Panikattacke dachte Oriel nur an Flucht. Sie drehte sich blitzartig um und fing an, blind loszurennen. Ihre nackten Füße kämpften sich durch den feuchten Sand im silbrigen Dämmerlicht. Bevor sie überhaupt Zeit hatte, es zu bemerken, kam ihr Fuß urplötzlich in Kontakt mit etwas sehr Hartem. Sie strauchelte und drohte, der Länge nach hinzufallen. Im selben Bruchteil einer Sekunde wurde sie von einem Paar sehr kräftiger Arme seitwärts gezogen, als der griechische Gott ihr zur Hilfe sprang und sie auffing. Als ihre Körper in der Luft aufeinandertrafen, stieß Oriel einen unterdrückten Schrei aus. Der Fremde fiel mit ihr, hielt sie fest und drehte sich athletisch so um, dass Oriel auf ihm landete, als ihre Körper im Sand aufschlugen. Der Aufprall wurde somit für sie abgefedert. Einen Moment lang blieb sie atemlos so liegen, und noch bevor sie sich von dem Schock erholt hatte, griff der Fremde sie an den Schultern und ließ sie vorsichtig seitlich von sich abgleiten. Sie fand sich auf dem Rücken liegend wieder, hinauf in den mondhellen Himmel starrend. Sein Gewicht hing über ihr und blockte das Mondlicht mit dem dunklen Kreis seines Kopfes. Sie sah aufgeregt zu ihm auf, als er sie mit dem Gewicht seines muskulösen Körpers in den Sand drückte.

„Nein!“, schrie sie ihn laut an und versuchte, sich aus seinen Armen zu befreien. Seine Haut war heiß und geschmeidig, und sie kämpfte gegen den Impuls an, sich ihm einfach hier und jetzt hinzugeben.

Die Augen des fremden Mannes glitzerten und erwiderten ihren Blick unter seinen perfekt geschwungenen schwarzen Augenbrauen. „Du wärst fast mit dem Kopf auf diesen Felsen gefallen, du solltest besser aufpassen, wo du hintrittst.“ Sein Gesicht hätte hervorragend in eine griechische Tragödie gepasst. Es war so nah an ihrem, dass Oriel seinen heißen Atem an ihrer Wange spürte und sich ihr Puls beschleunigte – und eine plötzliche Erkenntnis bahnte sich ihren Weg: Die Bedürfnisse, die sie so lange unterdrückt hatte, drohten an die Oberfläche zu treten. Ein akuter Schmerz breitete sich in ihren Beinen aus, ein merkwürdiges Gefühl von Müdigkeit. Es verschlimmerte sich um ein Hundertfaches, als er aufsprang, wie ein Koloss vor ihr stand und ihr seine starke, gebräunte Hand zum Aufstehen anbot. Seine silbern glänzenden Augen glitten entlang den straffen Kurven ihrer Brüste, und sie betete darum, dass ihr knappes Bikini-Oberteil keine Zeichen ihrer Erregung verraten würde.

Der Fremde ließ Oriels Hand nicht los, als sich sein Blick in ihre Augen bohrte. „Du zitterst ja, wunderschöne Kalypso.“

Oriel blinzelte. Er war einfach umwerfend attraktiv. Schüchtern entzog sie ihm ihre Hand. Der ungeschickte Fluchtversuch war ihr nun fürchterlich peinlich. „Es ist nichts, alles in Ordnung. Vielen Dank.“

Seine sinnlichen Lippen verformten sich langsam zu einem breiten Lächeln und gaben den Blick auf eine Reihe natürlich strahlend weißer Zähne frei. „Du musst schon einmal hier gewesen sein, vor Jahrhunderten, um mich auf dieser Insel zu erwarten.“ Sogar seine Art zu reden war theatralisch. Sie erwischte sich dabei, dass sie sein Lächeln erwiderte und ließ sich auf das Gedankenspiel ein. „Und wer bist du?“, fragte sie atemlos und brachte die Worte fast nicht zu Ende, weil sie die Antwort ja längst kannte.

„Odysseus natürlich! Erinnerst du dich? Ich war ein Schiffbrüchiger, der vom Meer an den Strand dieser Insel getrieben wurde. Du hast dich in mich verliebt, mich hier als Gefangenen gehalten und mich verzaubert mit deinem schönen, langen Haar, gewebt aus seidigen Mondstrahlen, mit deiner betörenden Stimme sowie deinen verlockenden Kurven und deinen Verführungskünsten.“

Oh, er war so verwegen und arrogant – ganz unwiderstehlich. Oriel konnte nicht anders als seine Anspielung auf die antike griechische Sagenwelt aufzugreifen. Sie wagte sich mutig auf diesen Pfad, wie gefährlich er auch werden möge. „Und obwohl ich dir Unsterblichkeit versprochen hatte, lehntest du ab und wolltest nach Ithaka zurücksegeln, zurück zu deiner Frau.“

Jetzt war es der Fremde, der überrascht aussah. Er warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Wir haben Liebe gemacht, und dann war ich sieben Jahre lang verloren.“

„Aber letztendlich war ich es doch, die dich gerettet und dir das Boot gebaut hat, das dich nach Hause brachte.“

Schließlich lachte er, was der stählernen Härte seiner Gesichtszüge einen unerwartet jungenhaften Charme verlieh, den Oriel unwiderstehlich fand, und der ihr Herz schneller schlagen ließ. Sogar der Klang seines Lachens war anziehend und ungewohnt rau. „Vielleicht glaubst du ja gar nicht an die Reinkarnation von Seelen“, überlegte er laut.

„Eigentlich habe ich noch nie wirklich darüber nachgedacht“, gestand Oriel.

Die Bilder, die der Fremde beschwor, hatten eine Sehnsucht in Oriel ausgelöst, von ihm in seine starken Arme genommen und von diesen kräftigen Händen festgehalten zu werden, die ihre Haare zuvor mit solch unerwarteter Zärtlichkeit gestreichelt hatten. In Gedanken stellte sie sich aufgeregt vor, wie es wohl wäre, sich noch einmal unter dem Gewicht seines attraktiven, muskulösen Körpers zu verlieren.

Umgeben von solcher Schönheit und dem berauschenden Klang des Ozeans fühlte es sich an, als wären sie in der Zeit gefangen für einen ewig andauernden Augenblick. Vielleicht lag es an ihren geschärften Sinnen und dem unterschwellig schwelenden Adrenalin, das sich beim Lesen des Briefes in ihr aufgebaut hatte. Oder es war die bezaubernd schöne Naturkulisse dieses verlassenen Ortes, die alles wie eine verlockende Fantasievorstellung erscheinen ließ. Oder … konnte es einfach sein, dass dieser Mann so anders war als alle Männer, die Oriel je getroffen hatte? Gut, er war kein Odysseus, dachte sie sich, weil der griechische Held ja nichts als ein sterblicher Mensch war. Dieser Mann hier war viel mehr – tatsächlich schien dieser Mann die Personifizierung des Meeresgottes Poseidon höchstpersönlich zu sein.

Seine Augen schimmerten dunkel und hypnotisierten sie mit ihrem glitzernd stählernen Ausdruck, was sie unruhig machte. Hatte der Fremde etwa ihre Gedanken gelesen? Waren ihm die Emotionen und Bedürfnisse etwa bewusst, die er tief in ihr geweckt hatte wie kein anderer Mann zuvor? Oriels Hals fühlte sich plötzlich ganz trocken an, und ihre Lippen wie ausgedörrt, sodass sie sie leicht mit ihrer Zungenspitze befeuchtete.

Oh, Herr, das alles macht keinen Sinn!

Schockiert über ihre beunruhigende Reaktion trat sie einen Schritt vor, um an ihm vorbeizukommen. „Es … es tut mir leid. Ich muss gehen“, murmelte sie, doch seine Finger klammerten sich um ihr Handgelenk. Sie fühlte ihre Kraft, doch dann fing sein Daumen plötzlich damit an, ihre Haut sinnlich zu berühren, sie zärtlich zu streicheln und ihr Innerstes zum Schmelzen zu bringen.

„Brich den Zauber nicht“, sagte er schwach mit leiser, heiserer Stimme. Als sie diesem Mann so nah gegenüberstand, riet ihr jeder vernünftige Instinkt alarmiert dazu, wieder die Flucht zu ergreifen. Doch dann bemerkte sie, wie das sich verändernde Mondlicht von seinen Augen eingefangen und reflektiert wurde, und sie starrte ihn nur wie gelähmt an, sich seiner dunkel maskulinen Schönheit und Stärke nur allzu bewusst. Manchmal reichte ein einziger Blick, um alles zu sagen, und genau in diesem Moment merkte sie, wie ihre alten Vorsätze und Überzeugungen unaufhaltsam in sich zusammenstürzten. Oriel senkte ihren Blick, und ein Wirbelsturm intensiver, neuer Gefühle tobte durch ihren Körper.

„Du spürst die Magie doch auch, nicht wahr? Alles ist möglich in solch einer Nacht.“ Seine Stimme klang tief und schwer, wie getrieben vom Drang unmissverständlich männlicher Leidenschaft.

Oriels Herz schlug schnell und bis zum Hals. Sie blickte nach oben und schaute mit ihren großen grünen Augen erwartungsvoll zu ihm hinauf, während ein wohliger Schauer durch ihre Adern floss wie ein betörender Brandy. Sie schwankte leicht und drohte, den Halt zu verlieren, bis er sie dicht an seine stählerne Brust zog. Seine Körperwärme ließ die Flammen in ihr höher lodern. Sie konnte seinen Herzschlag spüren, und als er die Umarmung intensivierte, raubte ihr die Härte seiner Leidenschaft den Atem. Alles, was sie noch wahrnehmen konnte, war ein unwiderstehliches Gemisch aus Seife und auf seiner Haut getrocknetem Salzwasser, durchsetzt vom männlichen Duft seines Körpers.

Eine süße Form des Wahnsinns ergriff sie. Geschockt fühlte Oriel, wie ihr ganzes Wesen in einer körperlichen Reaktion vibrierte, als ob er sie bereits in intimster Weise berührt hätte. Das Verlangen, das sie für diesen ihr unbekannten, vom Meer angespülten Mann empfand, das Entzücken über seinen verführerisch warmen Körperkontakt auf ihrem verräterisch zuckenden Fleisch, als sich seine Hände langsam über ihre nackten Arme bewegten, war berauschend. Die ihr noch fremden Impulse, die jeden einzelnen ihrer Sinne gefangen nahmen, waren so intensiv, dass sie an nichts anderes mehr denken konnte als an ihn. Und genau in diesem Moment wurde ihr siedend heiß klar, dass sie sich nichts anderes sehnlicher wünschte als diesem dunklen griechischen Gott mit seinen hypnotisch silbrigen Augen ihre Jungfräulichkeit zu schenken, genau hier und jetzt.

Oriel erschauderte. Eine tiefe Angst vor etwas Primitivem, Unberechenbarem raste durch ihr Bewusstsein – dennoch gehorchte sie widerspruchslos ihrem sechsten Sinn und drückte sich sogar noch näher an diese göttliche Figur heran, hungrig vor Verlangen.

Als ob er ihre Gedanken lesen würde, verdunkelten sich die stahlgrauen Augen des griechischen Gottes zu einem unergründlich tiefen Schwarz und schienen ihr Gesicht suchend abzutasten, bis sie sich auf die feinen Kurven ihrer Lippen fokussierten. Ohne ein Wort zu sagen, senkte er seinen Kopf ein kleines bisschen und kam ihnen näher, doch verharrte in seiner Bewegung, ohne sie zu küssen. Oriels Atem blieb ihr im Halse stecken, als sie den Ausdruck in seinem sie durchbohrenden Blick wahrnahm, der vor reifer Sinnlichkeit nur so brodelte.

Die Sterne funkelten am nächtlichen Himmel wie ein großer silbriger Schleier, der das Paar in staunendem Bewundern gefangen nahm, während sie sich gegenseitig wie gebannt von einem Zauberspruch erwartungsvoll beobachteten. Oriel hatte ihr Gefühl für Raum und Zeit gänzlich verloren und kümmerte sich weder um das, was geschehen war, noch um die Zukunft. Sie war wie gefangen in diesem Augenblick und dachte sich nur: Mir sind die Konsequenzen völlig egal!

So kam es, dass in dieser magischen Nacht Poseidon, der Gott des Meeres, seine wunderschöne Jungfrau an jenen überwältigenden, sinnesberauschenden und intimen Ort brachte, in dem die Welt und alle Menschen in ihr einfach aufhörten zu existieren. Es gab nur sie beide und das glühende Verlangen, das sie gegenseitig in sich entfachten. Als sich die Hitze zu einem Höhepunkt aufgebaut hatte, von dem aus es keine Wiederkehr mehr gab, war ihr klar, dass er ihre Unschuld gespürt haben musste. Einen kurzen Augenblick lang zögerte er über ihr, seine Augen nun schwarz vor Begierde – fragend, abwartend. Oriel strich ihm sanft durch die Haare und zog ihn zu sich herunter, wie eine stille Aufforderung dazu, fortzufahren. „Bereue nichts“, hatte er ihr zärtlich ins Ohr geflüstert, kurz bevor er sie ganz in seinen Besitz nahm mit wohliger Zärtlichkeit … und dann mit einem Feuer, das sie vollständig mit Geist, Körper und Seele verzehrte.

Sie würde es niemals bereuen, das war Oriel klar, obwohl das, was passiert war, gegen all ihre früheren Prinzipien verstieß, die ihr so wichtig gewessen waren. Es war eine Mondnacht voller Lust und Leidenschaft gewesen. Verausgabt und zutiefst befriedigt schliefen sie in einer kleinen Höhle am Strand zusammen ein. Als sich Oriel am nächsten Morgen zwang, ihre schweren Augenlider zu öffnen, war ihr griechischer Gott auf und davon, und sie fragte sich fast, ob sie die Verzückung, die sie noch vor wenigen Stunden mit ihm erlebt hatte, vielleicht doch nur geträumt hatte. Ein neues Gefühl des Verlassenseins machte sich in ihr breit, und sie kämpfte gegen aufkommende bittere Tränen der Enttäuschung.

Nun hatte auch er sie verlassen, genau wie Rob – hinterrücks.

Nach dieser Nacht war sich Oriel über zwei Dinge klar: Den Fremden würde sie niemals wiedersehen, und sie würde es ganz bestimmt nie wieder einem Mann erlauben, sie so im Stich zu lassen.

Kapitel 1

Athen, Mai 1977

In einem schicken, korallenfarbigen Hemdblusenkleid, das ihre exquisiten weiblichen Rundungen und wohlgeformten langen Beine perfekt zur Geltung brachte, stand Oriel inmitten eines glühend heißen Flugplatzes mit Ausblick auf das in der Sonne glitzernde Mittelmeer. Ein Anblick wie gemacht für ein atemberaubend schönes Gemälde. Dazu passte auch der Hintergrund mit bunten Segelbooten am fernen Horizont, die wie farbige Lichtreflektionen in einem Kaleidoskop ab und an aufblitzten. Die griechische Sonne strahlte direkt auf Oriels platinblondes Haar. Sie umklammerte die Griffe ihrer Reisetasche fester, während sich ihre dunkelgrünen Augen erwartungsvoll umschauten, verborgen hinter einer großen Sonnenbrille.

Es war weniger als einen Monat her, dass sie die Zeitungsannonce entdeckt und sofort darauf reagiert hatte. Nach ihrer Bewerbung an Stavros Petrakis, den Leiter der Unterwasser-Ausgrabungsstelle, ging alles ganz schnell: Nur ein paar Faxe mit Referenzen und Zeugnissen später erhielt sie innerhalb von einer Woche schon den Anstellungsvertrag, und alles wurde für ihre Ankunft vorbereitet.

Oriel war davon beeindruckt, wie gut organisiert und effizient diese Leute waren. Sie hatte gedacht, dass das in Anbetracht der Stellenanzeige nicht weiter verwunderlich war, denn der Ton der Annonce war sehr bestimmt, fast schon zu herrisch gewesen. In seiner Korrespondenz mit ihr hatte Petrakis dagegen angenehm freundlich gewirkt, sodass Oriel annahm, dass jemand anderes den Anzeigentext geschrieben haben musste. Sicher der Unterzeichner ihres Vertrags, ein gewisser D. Lekkas. Das machte ihn in ihren Augen zwar zu einem Unsympathen, aber sie hoffte darauf, dass Lekkas als Chef eher wenig mit dem Alltagsgeschäft zu tun haben und sie einfach ihren Job machen lassen würde.

Der Job – er war ein Traum! Es ging um die anspruchsvolle Bergung eines antiken, halb im Sand verborgenen und verkalkten Schiffswracks, das wahrscheinlich noch von den alten Römern stammte. Noch nie zuvor hatte sie an einem solch antiken Handelsschiff gearbeitet und brannte darauf, mehr darüber zu erfahren. Stavros Petrakis hatte ihr bisher nur einen groben Überblick des Projekts geschickt mit dem Versprechen, ihr alles Weitere vor Ort zu zeigen. Immerhin hatte er ihr sämtliche Details ihrer Reise übermittelt. In Athen sollte Oriel abgeholt und mit einem Privatjet ihrer neuen Firma nach Helios geflogen werden – einer kleinen Insel im Ionischen Meer, die zum Privatbesitz der Lekkas-Familie gehörte.

Oriel sah sich auf dem Flugplatz um. Leichtflugzeuge unterschiedlicher Größen standen in geordneten Reihen auf dem heißen Asphalt und glitzerten im nachmittäglichen Dunst.

Alles wirkte so vertraut. Die Luft roch unnachahmlich betörend nach Kiefern, Salzwasser und ockerfarbiger Erde, und der Himmel strahlte in einem intensiven Azurblau. Sogar das Licht der Sonne sah hier einzigartig lebendig aus.

Endlich bin ich wieder hier, zurück in Griechenland, dachte sie voller Freude.

Als Oriel sich gerade einem Mann nähern wollte, der damit beschäftigt war, ein Logo auf eines der Flugzeuge zu malen, hörte sie, wie jemand hinter ihr ihren Namen rief: „Despinis Anderson?“

Oriel drehte sich blitzartig um: „Ja, das bin ich.“

Ein höfliches, offenes Lächeln war das Erste, das sie an dem drahtigen Griechen mit Pomade im Haar und Koteletten wahrnahm, der ihr nun freundlich seine gebräunte Hand entgegenstreckte. Er war älter als Oriel, seine Haut wies einige Pockennarben auf, und seine dunklen Augenbrauen wichen schräg von seiner breiten Nase weg wie zwei Zirkumflexe. Dies verlieh seinem Gesicht ein leicht verschmitztes Aussehen und erinnerte sie an einen Fuchs.

Angezogen war er sehr adrett in einem kurzärmeligen, weißen Safarihemd und dunklen Hosen. Eigentlich war nichts an ihm besonders auffällig, außer der großen, teuren Golduhr, die an seinem Handgelenk glänzte.

„Kalós ílthate stin Elláda, willkommen in Griechenland! Ich bin Yorgos Christodoulou, Gutsverwalter von Kyrios Lekkas.“

Oriel erwiderte sein freundliches Lächeln und reichte ihm ihre Hand. „Chair, ich freue mich, Sie kennenzulernen.“

Kleine, pechschwarz glänzende Augen warfen einen anerkennenden Blick auf die schlanke, wohlgeformte Figur der jungen Frau und ihren feinen, zart blassen Teint.

„Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise?“, fragte er.

„Ja, vielen Dank. Nach dem trostlosen englischen Regenwetter ist das sonnige Athen eine mehr als willkommene Abwechslung“, entgegnete Oriel glücklich.

„Ihr Gepäck wurde bereits von unserem Kurier abgeholt und sollte noch heute Abend auf Helios ankommen.“ Als Yorgos Christodoulou dies sagte, nahm er Oriel ihre Reisetasche ab.

„Efharisto.“

„Parakaló, sehr gern.“

Mit raschen Schritten ging er voraus und führte Oriel zu einer Gruppe kleinerer Flugzeuge.

„Ich sehe, Sie haben extra ein paar Worte Griechisch gelernt. Es ist immer klug, wenn man in ein fremdes Land fährt, sich vorher die Sprache etwas anzueignen.“

„Ich spreche sogar fließend Griechisch“, erwiderte Oriel ihm in seiner Muttersprache. Etwas in der Art und Weise, wie er mit ihr sprach, hatte das plötzliche Bedürfnis in ihr erweckt, sich zu rechtfertigen. „Ich habe die Klassiker an der Uni studiert, bevor ich meinen Master in Archäologie gemacht habe, daher kenne ich mich sowohl mit dem Alten als auch dem Modernen Griechisch bestens aus.“

Er hob eine Augenbraue und antwortete ihr auf Griechisch: „Eine kluge junge Lady. Sehr beeindruckend. Für eine Ausländerin sprechen Sie unsere Sprache wirklich gut, Despinis Anderson.“ Er nickte nach vorn. „Kyrios Lekkas’ Privatflugzeug wird uns auf die Insel fliegen. Es steht nicht weit von hier. Ich nehme an, dass dies nicht Ihr erster Besuch hier in unserem Land ist?“

„Nein, ich habe während meiner akademischen Laufbahn schon verschiedene Teile von Griechenland kennengelernt, auch einige Inseln.“

„Sie sehen sehr jung aus für solch umfangreiche Studien.“

Sie lächelte strahlend und versuchte, seine herablassende Bemerkung zu ignorieren. „Der optische Eindruck kann oft täuschen.“

Er warf ihr einen Seitenblick zu. „Ich habe nichts mit den archäologischen Ausgrabungen auf dieser Insel zu tun, dafür ist Stavros Petrakis zuständig, aber ich muss Sie warnen: Weil Sie so jung und attraktiv aussehen, befürchte ich, dass Kyrios Sie für nicht qualifiziert genug halten wird. Seien Sie darauf vorbereitet.“

Oriel war an so etwas schon gewöhnt – es gab viele Vorurteile einer patriarchisch geprägten Gesellschaft, die auf der Annahme beruhten, dass sie einen sonst Männern vorbehaltenen Beruf ausübte. Daher war die Haltung des Gutverwalters für sie nichts Neues. Das hinderte sie jedoch nicht daran, sich über seine Bemerkungen zu ärgern. „Ich habe mein Alter ja auf den Bewerbungsunterlagen angegeben. Kyrios Petrakis hat alle Informationen, die er braucht, und ich habe hervorragende Zeugnisse und Referenzen“, entgegnete sie leicht genervt. „Mein Alter und Aussehen sollten daher bestimmt nicht zur Debatte stehen.“

Yorgos hob die Augenbrauen. „Sie klingen sehr selbstsicher, Despinis Anderson, das ist gut. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Glück.“

Sie nickte, aber bemerkte einen amüsierten, fast spöttischen Unterton in seinen Worten. Es war offensichtlich, dass die männliche Bevölkerung in diesem Teil der Welt noch immer weitgehend unberührt von der sexuellen Revolution war. Die meisten griechischen Männer waren davon überzeugt, dass Frauen in die Küche gehörten, und sich von einer Frau übertrumpfen zu lassen, kratzte an ihren Egos. Zweifellos könnte die überhebliche Attitüde von Yorgos Christodoulou auch einfach typisch für seinen Job sein, überlegte Oriel. Aber was, wenn er recht hatte und der Besitzer dieser Insel sie nur kurz ansehen und sofort nach Hause schicken würde? Alles war möglich, falls Stavros Petrakis sie ohne Autorisierung von seinem Chef eingestellt hatte. Oriel seufzte innerlich. War das alles hier etwa nur eine bloße Zeitverschwendung?!

Das Propellerflugzeug Lekkas Piper Saratoga war eine der kleineren Maschinen auf dem Asphalt, doch ihr elegantes Stahlgehäuse stach unter den anderen, viel größeren Flugzeugen dort klar hervor. Der Rumpf und der obere Teil der Flügel waren mit einem modernen Bild der Sonne verziert, das in warm glitzernden Farbtönen aus Orange, Gelb und Rot gemalt war. Die Sonne sollte sicher Helios repräsentieren, den Sonnengott der griechischen Mythologie, nach dem die Privatinsel auch benannt war.

Yorgos gab dem Piloten ein Zeichen, der ihm aus dem Cockpit zurückwinkte. Dann griff er fest nach Oriels Ellenbogen und half ihr die Stufen hinauf. Die zweimotorige Maschine bot Platz für vier Passagiere in einer bequemen, wenn auch nicht sehr geräumigen Kabine. Die Ausstattung war elegant, puristisch und voller Understatement in ihrem Luxus, mit einem elfenbeinfarbigen Interieur, das einen wunderschönen Kontrast zum lackierten Nussbaumholz der herunterklappbaren Tische und Fensterrahmen bildete. Oriel setzte sich auf einen der einladenden, exquisiten Ledersitze.

„Sitzen Sie bequem?“, fragte der Gutsverwalter, nachdem er ihr den Sicherheitsgurt angelegt hatte. „Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ein Glas Ouzo vielleicht?“

„Nein, danke.“

„Dann ein Gläschen Wein?“

Oriel schüttelte den Kopf. Nach der Gluthitze auf dem Flugfeld war ihr die kühle Kabine eine willkommene Erfrischung, aber ihr Hals fühlte sich kratzig an, und ihre Lippen waren wie ausgetrocknet vor Durst. „Nur ein Glas Wasser bitte.“

Er griff in eine große Kühlbox, die unter den hinteren Sitzen verstaut war, schenkte ihr ein Glas eisiges Wasser ein und stellte es vor ihr auf die heruntergeklappte Tischfläche. „Es ist sicher besser, wenn Sie all Ihre Sinne beisammen haben, wenn Sie den Kyrios treffen. Ich warne Sie, er nimmt keine Gefangenen. Noch nie war der Name eines Mannes treffender.“ Nun schenkte er sich selbst ein Glas Ouzo ein, setzte sich Oriel gegenüber und schnallte sich an.

Sie runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“

Yorgos lachte kurz und schien ihre Verwirrung sichtlich zu genießen. Seine weißen Zähne leuchteten hell im Kontrast zu seinem dunklen Teint. „Kyrios Damianos Lekkas.“ Jetzt musterte er sie mit einem abschätzenden Ausdruck, der sie sicher beunruhigen sollte. „Auf Altgriechisch bedeutet ‚Damianos‘ so viel wie Herr, Meister, Bändiger und Eroberer. Sie werden garantiert noch feststellen, wie gut dieser Name zu ihm passt.“

Oriel war sich der Bedeutung des Wortes bewusst, doch sie wusste auch, dass es verschwendete Zeit war, ihn darauf hinzuweisen. Betont unbeeindruckt entgegnete sie ihm stattdessen: „Ich wusste nicht, dass Kyrios Lekkas mit Vornamen Damianos heißt. Auf dem von mir unterschriebenen Vertrag stand nur ein D. Nun, Sie meinen, dass sein Name gut zu ihm passt?“ Eigentlich wollte sie ihn das gar nicht fragen, doch ihre Neugier hatte letztendlich gesiegt: Vorsicht ist besser als Nachsicht.

„Na, sagen wir es so: Die Inselbewohner nennen ihn Drákon Damian, Drache Damian. Alle fürchten ihn, doch er selbst ist furchtlos. Er scheint sechs Köpfe zu haben, und alle sind mit einem Paar scharfer Augen ausgestattet, sodass ihm nichts, absolut nichts auf der Insel entgeht.“ Einen kurzen Moment lang schien Yorgos gedankenverloren durch sie hindurchzusehen, doch dann fing er sich wieder und starrte sie bedeutungsvoll an: „Nur ein besonders mutiger und kluger Mann könnte den Kyrios überlisten.“

Drákon Damian. Dieser wie aus einer anderen Zeit stammende Beiname verhieß nichts Gutes, dachte sich Oriel ironisch. „Sie scheinen ziemlich von ihm beeindruckt zu sein.“

„Natürlich ist der Kyrios beeindruckend. Er ist das Oberhaupt der Insel – ein harter Kerl, der Respekt verlangt.“ Die Obsidian-dunklen Augen von Yorgos beobachteten Oriel jetzt sehr genau und gaben ihr das einschüchternde Gefühl, zur Observation festgeschnallt unter einem Mikroskop zu liegen. Der Gutsverwalter hatte etwas Selbstgefälliges an sich – Oriel hatte das Gefühl, dass hier eine eigentlich schwache und langweilige Persönlichkeit nur durch Arglist und die Vorliebe für das Wesentliche belebt wurde.

Oriel konzentrierte sich darauf, ihre Gesichtszüge zu einer undurchschaubaren Maske werden zu lassen, die sie immer aufgesetzt hatte, wenn es darauf ankam, sich bei ihrer Arbeit durchzusetzen. „Ich kann verstehen, dass Damian Lekkas der Besitzer und damit Herr dieser Insel ist, aber die Begriffe Bändiger und Eroberer sind weit hergeholt und, wie ich finde, völlig unpassend und unverdient“, sagte sie freundlich, aber bestimmt. Yorgos nahm einen extra großen Schluck Ouzo und räusperte sich. „Denken Sie etwa, dass ich übertreibe? Er ist genau das, beides. Im Mondlicht geht er mit den Wölfen auf die Jagd und schwimmt mit den Meeresungeheuern in den dunklen und tiefen Stellen des Meeres, das die Insel umgibt. Die Gewässer um Helios herum sind bekannt dafür, besonders gefährlich zu sein.“ Er lehnte sich leicht nach vorn. „Wussten Sie zum Beispiel, dass er einst sogar gegen einen Hai gekämpft und ihn erlegt hat?“

Oriel hob eine Augenbraue. Archäologische Ausgrabungen, die Tiefseetauchen erforderten, waren natürlich nie ganz ohne Gefahren, und so wie Yorgos Christodoulou sprach, neigte er zu Übertreibungen – dennoch klang das beunruhigend. Was Lekkas selbst betraf, fühlte sie sich zunehmend fasziniert von dieser rätselhaften Gestalt, dem Herrscher von Helios, trotz einer latent anwachsenden Unbehaglichkeit und bangen Vorahnung. „Ein mutiger Mann“, stimmte sie in bewusst neutralem Ton zu.

Yorgos betrachtete sie misstrauisch. Man sah ihm deutlich an, dass er sich fragte, ob sie ihn ernst nahm. „Ja, Despinis Anderson, er ist ein mutiger und auch ein mächtiger Mann. Seinen Feinden gegenüber kann er absolut gnadenlos sein, gerade wenn es um die Verteidigung seines Eigentums geht.“

„Der Besitz einer Insel bringt zweifellos viel Verantwortung mit sich“, räumte Oriel ein. „Natürlich steht Sicherheit an oberster Stelle. Ich nehme an, dass man dafür eine gewisse Härte braucht.“

Yorgos lehnte sich in seinem tiefen Lederstuhl zurück. „Hart, ja. Einige Leute würden sagen, dass er eiskalt ist. Das hindert ihn jedoch nicht daran, eine merkwürdige Anziehungskraft auf Frauen auszuüben. Er hat irgendwie Macht über sie.“ Damit warf er Oriel einen wohl kalkulierten Blick zu. „Deswegen verdient er den Titel Eroberer, Despinis Anderson, wenn Sie schon fragen. Er muss lediglich auf eine Frau zeigen, und schon kniet sie unterwürfig vor ihm nieder.“ Er zuckte mit den Schultern und sah auf sein Glas herunter. „Ich habe es schon oft gesehen. Jedes Jahr ist es dasselbe. Ein Mädchen hier, ein anderes Mädchen da, und alle fühlen sich zu ihm hingezogen wie zu einem Magneten. Und natürlich reagiert der Kyrios darauf, wie jeder Mann es tun würde.“ Yorgos’ glitzernde Augen kehrten ruckartig zu Oriels Gesicht zurück. „Oh, er wird mit ihnen schlafen, aber in Wahrheit sind sie ihm alle völlig egal. Es hat immer nur eine einzige Frau für ihn gegeben.“ Daraufhin deutete er ein halbes Lächeln an und zuckte mit den Schultern. „Aber der Kyrios langweilt sich schnell. Sobald ein Mädchen damit anfängt, etwas von ihm zu verlangen, weist er sie ab. Er ist ein Mann aus Stein, mit einem toten Herzen.“

Oriel versuchte, ihre Abneigung für die Vulgarität und nicht zuletzt auch die Illoyalität und die Indiskretion des Gutsverwalters zu verbergen. Selbst wenn Kyrios Lekkas genau so war, wie Yorgos Christodoulou es beschrieb, gefiel es ihr nicht, wie harsch dieser seinen Arbeitgeber kritisierte. Ganz so schlimm konnte er nicht sein, wahrscheinlich lag Yorgos’ Sinn zum Übertreiben auch schon im griechischen Hang zum Melodrama begründet.

„Das ist ein sehr harter Vorwurf. Warum arbeiten Sie denn überhaupt für jemanden, den Sie so sehr verachten?“

Yorgos lächelte gequält und hielt seine Hände hoch, als ob er ihren Irrtum korrigieren wollte. „Sie missverstehen mich, Despinis Anderson. Es ist nicht so, dass ich ihn nicht mag, denn ich bin mit dem Mann aufgewachsen und verstehe ihn besser als jeder andere. Wir Griechen haben ein Sprichwort: Wenn du dein eigenes Haus nicht lobst, wird es auf dich fallen und dich zerquetschen. Wir sprechen nicht schlecht über unseres gleichen. Aber genauso ist es hier auch Tradition, Dinge offen anzusprechen, das werden Sie noch früh genug herausfinden. Da gibt es einen kleinen, aber feinen Unterschied.“

Wirklich?, fragte sich Oriel. Sie hatte bei dem, was Yorgos Christodoulou gesagt hatte, keinen Unterschied feststellen können, beließ es aber dabei, obwohl es ihr schwerfiel.

„Natürlich bewundere ich den Kyrios“, fuhr er fort, „aber er ist ein Mann, den man fürchten sollte. Jeder begegnet dem Drákon mit Misstrauen. Die Insulaner verneigen sich alle und ziehen ihren Hut vor ihm, doch sobald er weg ist, tuscheln sie heimlich über ihn. Einige meinen sogar, dass er zu allem fähig wäre, wenn jemand ihn verärgert. Sogar zu Mord!“ Ein Schauder lief Oriel über den Rücken. Sie gab keine Antwort und war froh darüber, dass sich jetzt die Motoren des Flugzeugs laut in Bewegung setzten, was eine willkommene Ablenkung schuf.

„Ah, wir heben gleich ab.“ Yorgos trank seinen Ouzo aus und setzte das Glas ab. „Der Flug dauert nicht lange.“

Oriel drehte sich um und sah aus dem Fenster, als das Flugzeug begann, die Startbahn herunterzurollen. Sie vermied jeden weiteren Augenkontakt mit dem Gutsverwalter und konzentrierte sich stattdessen ganz auf die goldene Landschaft, die sich nun immer schneller an ihr vorbeibewegte. Dann, plötzlich, waren sie in der Luft. Sie blickte hinunter auf die glänzende Oberfläche des smaragd- und kobaltgrünen Meeres mit seiner plätschernden Brandung, den schläfrigen Lagunen und strahlend grünen Inseln, die im weiten Ozean unter der Mittelmeersonne frei umherzutreiben schienen. Die Menschen wurden zu Zwergen und die mächtigen Palmen zu kleinen Schusterpalmen. Alles dort unten auf der Erde sah wie Kinderspielzeug in einem endlos blauen See aus.

Vierzig Minuten lang waren sie schon geflogen, ohne ein Wort zu sagen. Oriel hatte klar gemacht, dass sie die Unterhaltung, die für sie einen schalen Beigeschmack hatte, nicht fortsetzen wollte. Nun stand Yorgos auf und lehnte sich über sie ans Fenster. Er zeigte auf eine Insel, die plötzlich vor ihnen in Sichtweite gekommen war.

„Das ist Helios“, kündigte er an.

Die Insel hob sich vom Meer mit atemberaubenden Details in der gleißenden Nachmittagssonne ab. Wie eine primitive, rote und grüne Skulptur ragte sie aus den Tiefen des pfauenblauen Wassers empor und wirkte dabei wie ein unbewohnbarer Felsen, ein Ort außerhalb der Zeit. Als das kleine Propellerflugzeug den Landeanflug begann, griff ein Gefühl der Besorgnis nach Oriel. Damian Lekkas – ein Mann mit einem toten Herzen, der gegen Haie kämpfte, mit Wölfen spielte, und der wie ein brutaler Magnet dafür sorgte, dass reihenweise Frauen ihm willenlos zu Füßen fielen! Der Besitzer von Helios klang für sie nun immer mehr nach einem mittelalterlichen Tyrannen. Wollte sie wirklich für jemanden arbeiten, der von seinen eigenen Leuten gefürchtet wurde, fast wie ein altertümlicher Gott?

Tiefer und tiefer näherte sich das Flugzeug dem glitzernden Sandstrand an, der sich kurvig am Meer entlang zu bewegen schien wie der sich wellenförmig bewegende Schwanz einer langen Schlange. Die Ruine eines runden Turms, der in vergangenen Jahrhunderten sicher den Hafen beschützt haben musste, saß zerklüftet am Rande einer grauen, steinernen Hafenmauer, deren bröckelige Steine bis zu einem alten Leuchtturm reichten – einem grimmigen Wächter über alle Seemänner auf und am Meer. Dahinter befanden sich Berge, gekrönt von einem riesigen, kraterüberzogenen Gipfel. Seine tiefen Grate warfen Schatten, als ob der Stein von einer riesigen Hand in die Höhe gezogen worden wäre und sich so nun dem Himmel entgegenreckte.

Sie flogen über eine Gruppe niedriger Bäume, die den Kai säumten, bevor sie an eine Lichtung kamen, wo ein breiter Streifen Asphalt als Landebahn diente. Oriels Herzschlag raste, als das kleine Flugzeug dort sanft aufsetzte.

„Wir sind da“, verkündete Yorgos.

Oriel öffnete ihren Gurt und freute sich darauf, diese eigenwillige Insel nun zu erkunden. „Helios ist ja vulkanischer Natur. Das war mir nicht klar“, sagte sie.

„Ja. Wir sind nicht weit von der Insel Kythira entfernt, fast genau gegenüber der südöstlichen Spitze der Halbinsel Peloponnes. Wie Kythira wurde auch Helios bereits von mehreren Erdbeben heimgesucht, aber bisher hatten wir Glück. Außer ein paar kleineren Erschütterungen ab und an haben wir in den letzten 200 Jahren kein großes Erdbeben hier gehabt.“ Yorgos stand auf und öffnete die Türen des Flugzeugs, was einen heißen Luftstrom hereinließ. In Wellen bahnte sich die Hitze des in der Sonne brütenden Asphalts von draußen ihren Weg ins Flugzeug. Er wollte gerade Oriels Koffer anheben, doch bevor er ihr helfen konnte, schlüpfte sie schnell von ihrem Sitz und griff sich ihr Gepäck, um allein auszusteigen. Yorgos sah nicht glücklich aus, als er ihr folgte.

„Das Anwesen der Lekkas-Familie ist etwa zehn Kilometer per Luftlinie von hier entfernt, fast auf der gegenüberliegenden Seite der Insel. Ich werde Sie dort absetzen“, erklärte er ihr und führte sie zu einem Jeep, der unter knorrigen Olivenbäumen geparkt war.

Hier war es dank einer erfrischenden Meeresbrise zwar etwas kühler als in Athen, aber immer noch schwül genug, um sich unbehaglich zu fühlen. Oriels erster Eindruck von Helios war der von gleißendem Licht, nacktem Fels, Kakteen und Dornen. Außer wenigen Olivenbäumen gab es fast keinen Schatten und damit auch keinen Schutz vor den Elementen wie Sonne und Wind. Und obwohl das Licht fast strahlend weiß in seiner Helligkeit war, sah dieser Teil der Insel trostloser aus als jeder andere Ort, den sie je besucht hatte.

Oriel verspürte eine ungewohnte Nervosität, als sie dem Gutsverwalter folgte, der sie, wie sie sich eingestehen musste, mit seinen Bemerkungen entwaffnet hatte. Hunderte offener Fragen schwirrten ihr durch den Kopf. Was wäre, wenn sie mit ihrem neuen Arbeitgeber nicht gut auskäme? Er klang wie ein furchtbarer Schürzenjäger und, als ob das nicht schlimm genug wäre, auch noch wie ein launischer Despot. Selbst wenn er nichts dagegen hätte, dass sie den Job übernähme, was würde passieren, wenn sie dem nicht gewachsen war? Sie hatte zwar bereits viel Erfahrung mit komplizierten und komplexen Aufträgen, und auch anspruchsvolle Tauchgänge hatte sie bereits oft erfolgreich absolviert, aber vielleicht würde ihr dieses Mal das Glück nicht hold sein. Doch dann besann sie sich schnell, denn Selbstzweifel waren ihr normalerweise fremd.

Als sie den offenen Jeep erreichten, ließ Oriel Yorgos ihr den Koffer abnehmen, den er im hinteren Teil des Wagens verstaute. Sie sah sich um und bestaunte die Weite der Landschaft. Diese Insel war so anders als alle, die sie je zuvor gesehen hatte, mit ihrer trockenen roten Erde und den wenigen verstreuten und verdorrten Bäumen. Der baufällige Leuchtturm und die Ruine des runden Turms wirkten schon fast aggressiv auf sie, bewacht durch Scharen laut schreiender Möwen, die bedrohlich über ihnen kreisten. Es fühlte sich wie ein archaischer Platz an, verlassen, vergessen und vom Rest der Welt abgeschnitten.

„Dieser Teil der Insel ist noch nicht entwickelt worden“, stellte Yorgos klar, als ob er ihre Gedanken lesen könnte – ganz geheuer war ihr das nicht. „Die Anlage war Teil eines alten Hafens, doch sich Helios auf dieser Seite vom Meer aus zu nähern, ist sehr gefährlich, da es hier fünfzehn Meilen weit Treibsand gibt. Viele Schiffe sind vor dieser Küste gesunken, da draußen gibt es einen regelrechten Friedhof für Wracks.“

„Wie unheimlich“, murmelte Oriel und blickte nachdenklich aufs Meer hinaus. Die Archäologin in ihr war jedoch von den Spuren der Vergangenheit fasziniert, die hier jahrhundertelang verborgen in solch gefährlichen Gewässern auf ihre Entdeckung warteten.

Yorgos ließ Oriel zuerst einsteigen, bevor er sich hinters Lenkrad setzte. „Vor ein paar Jahren entschloss sich der Kyrios dazu, auf der östlichen Seite der Insel einen neuen Hafen zu bauen. Dort gab es ursprünglich nur ein winziges Fischerdorf, doch jetzt ist daraus ein hübscher kleiner Hafen geworden, mit einem eigenen Jachthafen. Er ist viel sicherer, weil er in einer geschützten Bucht liegt.“

Sie starrte hinaus auf die karge und zeitlose Aussicht. „Die Insel ist bestimmt sehr wild.“

„Das ist nicht überall so. Helios wurde zwischen den beiden Lekkos-Brüdern aufgeteilt. Damian, der älteste Sohn, und Perikles, der jüngere, erbten die Insel nach dem Tod ihrer Eltern, nachdem auch ihr Onkel Cyrus kurze Zeit später verstorben war. KyriosDamians Teil der Insel war mit Olivenbäumen bepflanzt, und der Plan war gewesen, schwarze Johannisbeeren einzuführen, um auch etwas Profitables aus Perikles’ Hälfte zu machen.“ Er pausierte kurz und ergänzte dann: „Wenn Sie mich fragen, war das keine faire Aufteilung. Perikles hatte ganz klar den schlechteren Teil erwischt. So ist es nicht verwunderlich, dass er nichts aus seiner Hälfte der Insel gemacht hat.“

Yorgos zog eine Zigarettenschachtel aus seiner obersten Hemdtasche und zündete sich eine an. Beim Ausatmen einer großen Rauchwolke kniff er die Augen zusammen. „Er war ein lustiger Kerl, mit dem man viel Spaß haben konnte. Leider wurde er sehr missverstanden … Aber das ist eine andere Geschichte.“

„Und der ältere Bruder, Damian, was hat er aus seinem Teil der Insel gemacht?“, fragte Oriel, gespannt auf die Fortsetzung dieses fast klassischen Dramas.

„Er übernahm die Leitung der gesamten Insel und zahlte seinem Bruder Perikles ein jährliches Einkommen aus, genau wie auch seiner Cousine, Kyria Helena.“

„Warum gehörte ihr nicht auch ein Teil der Insel?“, wollte Oriel wissen.

„So wird das nun mal hier gehandhabt, das sind die Regeln der Insel.“

„Welche Regeln?“

„Auf Helios dürfen Mädchen kein Land besitzen, sondern sie erhalten eine jährliche Zahlung. So sichern Familien den Fortbestand ihres Besitzes. Doch jetzt, nach dem Mord vor zwei Jahren, gehört alles dem Kyrios.“

Oriels Kopf drehte sich blitzschnell um. „Mord? Meinen Sie etwa den Bruder, Perikles?“

Yorgos steckte den Schlüssel in die Zündung und hielt inne. „Nicht nur Perikles, Gott hab ihn selig.“ Er nahm einen schnellen Zug von seiner Zigarette und bekreuzte sich mit derselben Hand.

Oriels Augen weiteten sich vor Schock. „Was meinen Sie damit?“

„Was ich damit sagen will, ist, dass die Lekkas-Familie schon mehrere Schicksalsschläge erleiden musste“, sagte er nachdenklich und schaute sie eindringlich an.

Oriel lag es auf der Zunge, ihm noch mehr Fragen zu stellen, aber Neugierde schien hier fehl am Platz. Offensichtlich gefiel sich der Gutsverwalter darin, der Hüter des Wissens über die Familie Lekkas zu sein, und sie wollte ihm keinesfalls die Genugtuung geben, ihn um weitere Infos anzubetteln. Dennoch, ihre Neugier war unweigerlich geweckt. Wenn es weitere dunkle Geheimnisse der Lekkas-Familie gab, würde sie sie bald herausfinden.

Mit einem seltsamen kleinen Lächeln sah Yorgos Oriel direkt in die Augen und fragte sie: „Sie fangen sicher an zu denken, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, auf diese Insel zu kommen, nicht wahr?“

Obwohl ihre Besorgnis stetig zunahm, hob Oriel trotzig ihr Kinn: „Nein, ganz und gar nicht. Ich bin hierhergekommen, um einen Job zu erledigen. Nicht mehr und nicht weniger. Was auf dieser Insel alles passiert, diese Gerüchte … betreffen mich nicht.“

„Naja, lassen Sie es mich einfach wissen, wenn Sie zurück aufs Festland möchten“, beharrte er. „Ich habe genug andere erlebt, die schnell den Schwanz eingezogen haben, sobald sie herausfanden, was es bedeutet, auf Helios zu leben – einer Insel mit einer Herrscherfamilie, die verflucht wurde.“

Langsam und bedeutungsschwanger fügte er hinzu: „Diese Insel hat eine Geschichte, Despinis Anderson. Eine dunkle, leidenschaftliche Geschichte, genau wie die Tragödien unserer antiken Mythologie. Das lässt sich nicht so einfach leugnen oder ignorieren. Wer immer hier lebt, kommt nicht umhin, sich mitten in den Dramen von Helios wiederzufinden. Sie gehören hier zum täglichen Leben wie das Meer und die Sonne.“

Yorgos studierte sie mit einer Hand am Steuer, wo die Zigarette zwischen seinen dicken Fingern schwelte, und der anderen Hand noch immer an der Zündung, dazu bereit, den Motor zu starten.

Oriel fühlte, wie ihr Herz vor Aufregung, Empörung und Angst raste. Sollte das etwa eine Warnung sein? Es erschien ihr bizarr, übertrieben und melodramatisch. Sie bemühte sich, ihre Stimme unberührt cool klingen zu lassen, um ihre innere Unsicherheit nicht preiszugeben: „Ich habe einen Vertrag unterschrieben, Kyrios Yorgos, und den gedenke ich einzuhalten. Ich bin nicht jemand, der sein Wort bricht.“

Ihre Antwort schien ihm nicht zu gefallen, und er warf seine erst halb gerauchte Zigarette weg. „Was kann ich Ihnen sagen? Unter normalen Umständen ist das ein sehr löblicher Charakterzug, gebe ich zu, aber das letzte Wort ist bestimmt noch nicht gesprochen.“ Dann erwachte der Motor des Jeeps zum Leben und sie fuhren los.

Die Straße, die sie zur anderen Seite der Insel brachte, führte sie über unwegbares Terrain. Oriels Haare flogen im Fahrtwind hin und her, als der offene Jeep über Unebenheiten und Steine hüpfte. Sie vergab Yorgos Christodoulou fast seine arrogante Art, da er sich als bemerkenswert kenntnisreicher Inselführer entpuppte. Dennoch hoffte sie inständig, in den kommenden Wochen nicht viel mit ihm zu tun zu haben. Über dem Geräusch des Motors wies er auf die Klippen hin, auf deren Kämmen sich verwüstet aussehende Überreste von Häusern auftürmten. Irgendwo in diesen großen Felsen gab es Grotten, erklärte er, in denen sich die Insulaner in längst vergangenen Zeiten gelegentlich vor Piraten versteckt hatten. Gewaltige Steinmassen ragten steil aus dem Meer hervor, und die Einkerbungen im Fels sollten der Überlieferung nach von dem Schwert des Heiligen Georgs stammen, so erzählte er ihr.

Vor ihnen türmten sich Hügel auf wie die rollenden Wellen eines wütenden Ozeans, und neben ihnen taten sich felsige Steilhänge und steile Schluchten auf. Es war genau die Art von Ort, an dem – um in der Sprache von Dodwell und anderen Griechenland-Reisenden des frühen neunzehnten Jahrhunderts zu bleiben – „ein falscher Schritt den Tod bedeuten würde“. Daran dachte Oriel alarmiert, als sie mit fast schwindelerregender Geschwindigkeit über die holprige Strecke fuhren.

Alles sah aus wie eine dunkle Fantasiewelt aus einem Abenteuerbuch, und Oriel liebte Abenteuer! Sie war ein Einzelkind alternder Eltern, die Zeit ihres Lebens alles versucht hatten, um sie zu verhätscheln und zu beschützen. In ihr hatte das zweifellos das Gegenteil bewirkt und ein Verlangen nach Flucht und Aufregung geweckt. Sie hatte einfach gegen die guten Absichten ihrer Mutter und ihres Vaters rebelliert und jede noch so kleine Gelegenheit gesucht, um sich ihre Unabhängigkeit von ihren Eltern neu zu beweisen.

Das war sicher auch mit ein wichtiger Grund dafür gewesen, warum sie sich anfänglich überhaupt erst zur Archäologie hingezogen gefühlt hatte. Als junges Mädchen hatte sie viele Nächte unter ihrer Bettdecke mit einer Taschenlampe verbracht, um über unerschrockene Forscher und verlorene Zivilisationen aus fernen Zeiten zu lesen. Sie hatte sich vorgestellt, einmal als heldenhafte Abenteurerin durch die Welt und durch die Zeit zu reisen, um diese vergangenen Kulturen selbst zu erleben. Ihre Mutter war bis zu den Knochen konservativ und eigentlich sehr stolz darauf gewesen, dass Oriel in Cambridge angenommen worden war. Nur ihre Studienwahl hatte sie schockiert. Muriel Anderson hatte ihre Tochter mit einem leicht bestürzten Gesichtsausdruck angesehen: „Gibt es überhaupt so etwas wie Archäologinnen, Liebling? Ist das nicht ein ausgesprochener Männerberuf?“ Seit diesem Tag war Oriel sogar noch fester entschlossen gewesen, ihren eigenen Sternen zu folgen.

Oriel hob ihre Augen und sah sich den Berg genauer an, der ihr schon vom Flugzeug aus aufgefallen war. Er hatte über ihnen gethront, als sie wie wild die Klippen hinaufgeritten waren – riesig und dominant in der Landschaft, fast magisch in seiner Monstrosität. Yorgos folgte ihrem Blick.

„Sie sehen den Typhoeus, das ist unser Vulkan. Der große Drache!“, erklärte er dramatisch.