Das Echo der Liebe - Hannah Fielding - ebook

Das Echo der Liebe ebook

Fielding Hannah

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Opis

Verführung, Leidenschaft und die Chance einer neuen Liebe. Eine schreckliche Wahrheit, die zwei Leben für immer verändern wird.

Venetia Aston-Montagu ist in Italiens faszinierendste Stadt gezogen, um im Architekturbüro ihrer Patentante zu arbeiten und eine verlorene Liebe hinter sich zu lassen.

Zehn Jahre lang hat sie eine Mauer um ihr Herz errichtet, die eines Abends beim Karneval eingerissen wird, als ein enigmatischer Fremder, Paolo Barone, sie vor maskierten Angreifern rettet.

Venetia, die sich trotz der Warnungen vor Paolos Ruf als Don Juan und Gerüchten über eine Geliebte zu ihm hingezogen fühlt, kann sich nicht gegen die sengende Leidenschaft wehren, die zwischen den beiden aufflammt.

Als sie einen Auftrag auf seinem herrlichen Anwesen tief in der Toskana bekommt, muss sich Venetia nicht nur einer wunderschönen jungen Rivalin stellen, sondern auch einem heimtückischen Grafen und dunklen Mächten in den Schatten, die sich zwischen das Paar stellen möchten.

Kann Venetia darauf vertrauen, dass die Liebe selbst ihre eigenen Dämonen besiegen wird? Oder wird Paolos wohlbehütetes, erschütterndes Geheimnis die beiden für immer entzweien?

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Popularność




Kritiken zu Hannah Fieldings erstem Roman, Schwelende Glut:

„Eine epische Romanze, wie sie in Hollywood gemacht wird …“

Peterborough Evening Telegraph 

„Schwelende Glut ist ein romantisches Vergnügen und ein absolutes Muss für alle, die in eine Welt voller Farben, Schönheit, Leidenschaft und Liebe entfliehen möchten … Empfohlen für alle, die nicht nach Kenia reisen können.“

Amazon.co.uk review

„Eine gute, altmodische Liebesgeschichte … Eine Heldin, die jung und naiv ist und noch viel zu lernen hat. Ein Held, der ein heißes Alphatier ist, eine mysteriöse Vergangenheit und viele Frauen hat. Eine andere Zeit, Welt und Klasse. Die Art von Romantik, die Picknicks in verlassenen Tälern und Fahrten mit dem Heißluftballon und das Schwimmen in abgelegenen Seen beinhaltet. Himmlisch.“

Amazon.co.uk review

„Die Geschichte hat mich von Anfang an begeistert. Ich möchte wie Coral sein, in einer unschuldigeren Zeit an einem schönen, heißen Ort leben und mich in einen reichen, attraktiven Mann verlieben. Ich kann Hannah Fieldings nächstes Buch kaum erwarten.“

Amazon.co.uk review

Kritiken zu Das Echo der Liebe (Gewinner der Goldmedaille für Liebesromane bei den Independent Publisher Book Awards 2014):

„Einer der besten Liebesromane, die jemals geschrieben wurden … Eine epische Liebesgeschichte, wunderschön erzählt.“

The Sun

„Fans von Liebesromanen werden es in einer Sitzung verschlingen.“

The Lady

„Weist alle Elemente einer sehr guten romantischen Fiktion auf.“

BM Magazine

„Dieses Buch wird dazu führen, dass Sie sich wünschen, in Italien zu leben.“

Fabulous

„Das Buch ist die perfekte Lektüre für alle Leser, die eine Leidenschaft für Liebe, Leben und Reisen haben.“

Love it!

„Romantik und Spannung mit viel italienischer Kultur.“

Press Association

„Eine Geschichte mit Wendepunkten und voller Drama, Liebe und Tragödie.“

Italia!

„Es gibt viele wunderschön gestaltete Passagen, insbesondere die, die sich auf die Landschaft und Architektur der Toskana und Venedigs beziehen … Es war einfach, sich selbst an diesen magischen Orten vorzustellen.“

Julian Froment blog

Kritiken zu Indiskretion (Gewinner der Goldmedaille für Liebesromane bei den IBPA Benjamin Franklin Awards und in der Kategorie „Best Romance“ bei den USA Best Book Awards):

„Eine fesselnde Geschichte von Liebe, Eifersucht und Skandalen.“

The Lady

„Indiskretion fesselt von Anfang an. Alexandra ist eine betörende Heldin und Salvador ein überzeugender, charismatischer Held … Die schimmernde Anziehungskraft zwischen ihnen ist immer straff wie ein Faden. Eine kraftvolle und romantische Geschichte, die man einfach genießen muss.“

Lindsay Townsend – Autorin historischer Romane

„Eine reichhaltige Beschreibung, eine wunderschöne Kulisse, viele wundervolle Details, leidenschaftliche Romantik und das zeitlose, klassische Gefühl, das für puren, nachsichtigen Eskapismus sorgt. Ein Glücksfall!“

Amazon.co.uk review

„Ich dachte, Mrs. Fielding hätte sich mit ihrem zweiten Roman selbst übertroffen, aber mit diesem dritten hat sie es erneut geschafft. Diese Liebesgeschichte hat mir den Atem geraubt … Ich konnte das Buch kaum weglegen.“

Amazon.com review

Kritiken zu Maskerade (Gewinner der Silbermedaille für Liebesromane bei den IBPA Benjamin Franklin Awards):

„Geheimnisse und Überraschungen … im Spanien der 1970er-Jahre. Sie werden in dieser atmosphärischen Geschichte um Liebe und Täuschung versinken.“

My Weekly

„Hannah Fielding schreibt über Liebe, sexuelle Spannung und Sehnsucht mit einer erstaunlichen Zartheit und Üppigkeit. In diesem Roman steckt so viel von den Legenden und Überlieferungen der Zigeuner und den Überzeugungen Spaniens. Pferdeauktionen, sinnliche Träume, Stierrennen, Stierkämpfer, Schwimmen im Mondschein, Hitze und Blumen sowie Farben und Kostüme des Landes. Eine hervorragende Lektüre.“

Amazon.co.uk review

„Dies war ehrlich gesagt eines der ästhetischsten und sinnlichsten Bücher, die ich seit langer Zeit gelesen habe.“

Amazon.co.uk review

„Maskerade enthält die Art von Romantik, die Ihr Herz höherschlagen und Ihre Knie zittern lässt. Dies war eine faszinierende und dramatische Lektüre, die mich mit einem verträumten Gefühl zurückließ.“

Amazon.co.uk review

„Diese fesselnde, wunderschöne, romantische Geschichte war eine meiner Lieblingslektüren in jüngster Zeit. Dieses Buch hat Intrigen, Rätsel, Rache, Leidenschaft und verlockende Liebesszenen zu bieten, die den Leser gefangen halten und ihm keinen Moment Ruhe bei all den Drehungen erlauben … Wundervoll vom Anfang bis zum Ende.“

Goodreads.com review

Als gebundene Ausgabe und Taschenbuch erstmals herausgegeben von London Wall Publishing Ltd (LWP) 2013 in England

Alle Recht vorbehalten. Ohne vorherige schriftliche Erlaubnis des Herausgebers ist es nicht erlaubt, diese Publikation ganz oder teilweise zu reproduzieren, in einer Datenbank oder einem Abrufsystem zu speichern oder auf jegliche andere Art und Weise wiederzugeben, noch darf sie in jedweder Form eingebunden werden, in der sie nicht herausgegeben wurde.

Copyright © Hannah Fielding 2013

Copyright © for German edition by Hannah Fielding 2020

Übersetzung: Annie Schwarz

Korrektur: Sandra J. Kade

Konsultationen: Thea Prüfer

DTP: Point Plus

Drucken und Binden: Colonel, Krakau, Polen

Auszug aus Thomas Mann, Tod in Venedig © S. Fischer Verlag, Berlin 1913

Auszug aus Burnt Norton in VIER QUARTETTE von T.S. Eliot. Copyright © Estate of T.S. Eliot und 1936 Houghton Mifflin Harcourt Publishing Company; © erneuert 1964 von T.S. Eliot. Gedruckt nach Erlaubnis von Faber and Faber Ltd und Houghton Mifflin Harcourt Publishing Company. Alle Rechte vorbehalten.

Das moralische Recht der Autorin wird geltend gemacht.

A CIP-Eintrag für dieses Buch ist bei der British Library erhältlich.

Alle Charaktere und Ereignisse in dieser Publikation, außer denen, die eindeutig im öffentlichen Bereich liegen, sind fiktiv und jedwede Ähnlichkeit zu wirklichen Personen, tot oder lebendig, ist reiner Zufall und nicht vom Autor beabsichtigt.

ISBN 978-83-956892-1-5

London Wall Publishing sp. z o.o. (LWP)Hrubieszowska 2, 01-209, Warschau, Polen

Für meine Tochter Alexandra, deren Liebe für italienische Kunst mich inspiriert hat und deren liebevolle Unterstützung mich stets motiviert.

Schritte hallen in der Erinnerung

Den Weg entlang, den wir nicht gegangen sind

T.S. Eliot, Burnt norton – Vier Quartette

Zahlreiche Echos erwachten und starben in der Ferne …

Und als die Echos verhallten, war die Stille wie ein Schmerz.

Henry Wadsworth Longfellow, Evangeline: Eine Erzählung aus Acadien

Kapitel 1

Karneval in Venedig, 2000

Die Uhr schlug Mitternacht, als Venetia an dem großen Spiegel aus dem achtzehnten Jahrhundert vorbeiging, der im Flur über dem Kaminsims hing. Als sie instinktiv hineingesehen hatte, war ihr kurz das Herz stehengeblieben. Denn dort im Schein des Feuers war er wieder: eine fast illusorische Gestalt, die an der gegenüberliegenden Wand des dunklen Zimmers stand und sie hinter seiner schwarzen Maske mit durchdringendem Blick betrachtete. Tatsächlich eine illusorische Gestalt, denn als Venetia sich nach ihm umdrehte, war er fort.

Sie schauderte. Nanny Horrens Stimme erklang in ihrem Kopf und erinnerte sie an diese seltsamen keltischen Aberglauben, von denen das schottische Kindermädchen ihr immer erzählt hatte. Vor allem einer fiel ihr wieder ein. „Schalte am Karnevalsdienstag das Licht aus und sieh in einen Spiegel am Feuer“, flüsterte die alte Frau der leicht zu beeindruckenden und fantasievollen Venetia zu, als sie noch ein Teenager war, „und wenn du das Gesicht eines Mannes im Spiegel siehst, ist es das Gesicht der Liebe deines Lebens, des Mannes, den du einmal heiraten wirst.“

War das gerade geschehen? War dieser Fremde die Liebe ihres Lebens?

Quatsch, protestierte sie und lachte über ihr eigenes Spiegelbild. Du bist verrückt! Hast du deine Lektion denn nicht gelernt? Vor einigen Jahren hatte sich Venetia solchen Fantasien hingegeben und war dabei nur verletzt worden. Jetzt wusste sie es besser. Und trotzdem ging sie nicht weg von dem Kamin. Stattdessen lehnte sie sich näher an den Spiegel, der ihr blasses, erschrockenes Gesicht im flackernden Schein der Flammen reflektierte, als plötzlich das Zittern vergangener Liebe ihren Geist überspülte. Einige Augenblicke lang schien sie zu vergessen, wo sie war und fühlte sich wie in einer Schneekugel, in der das Rad der Zeit sich um zehn Jahre zurückgedreht hatte. Gareth Jordan Carter. „Judd“. Venetia hatte diesen Spitznamen erfunden, denn sie hasste den Namen Gareth und konnte auch mit Jordan nicht viel mehr anfangen. Judd war ihre erste Liebe gewesen und, was Venetia anging, auch ihre letzte. Damals war sie jung und unschuldig gewesen – gerade achtzehn Jahre alt. Heute, im Alter von achtundzwanzig, sah sie sich selbst als eine Frau von Welt, die sich nicht von den verräterischen Illusionen der Leidenschaft einfangen ließ, so verlockend sie auch manchmal waren. Sie hatte für ihre Naivität und Unüberlegtheit einen hohen Preis bezahlt.

Venetia versuchte, die quälenden Hirngespinste zu verscheuchen und dachte wieder an den maskierten Fremden – nun, den fast Fremden.

Ihre kurze Begegnung hatte am ersten Abend des Carnevale di Venezia, stattgefunden, zehn Tage vor dem Karnevalsdienstag …

* * *

Es war fast halb acht und die Geschäfte läuteten den Ladenschluss ein. Der Wind, der den ganzen Tag über geweht hatte, war abgeflaut, und über den Bäumen lag ein leichter Dunst, als hätte man einen Schleier vor alles gehängt, was mehr als ein paar Meter entfernt war. Die feuchte Luft war durchtränkt von Stille.

Venetia schnürte den Gürtel ihres Mantels enger um ihre schmale Taille und zog den Pelzkragen dicht um ihren Hals. Das Geräusch ihrer Schritte hallte auf dem Bürgersteig, als sie hastig vom Markusplatz zur Rialto-Brücke ging, eine einzelne Gestalt in der menschenleeren Straße. Sie war unterwegs zu dem Wassertaxi vaporetto, das sie am Palazzo Mendicoli absetzen würde, wo sie ein Apartment hatte. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig sah man ein paar vereinzelte Fußgänger; es war nicht viel Verkehr auf den langgestreckten, pechschwarzen Wassern des Canal Grande.

Plötzlich sprangen zwei Gestalten vor Venetia aus der Dunkelheit hervor. Sie trugen Umhänge des carnevale, und man sah ihre Gesichter nicht, sondern nur gespenstische, dunkle Löcher. Eine Hand kam unter dem allumfassenden Umhang einer der geisterhaften Kreaturen zum Vorschein und griff nach ihrer Tasche. Starr vor Schreck versuchte Venetia zu schreien, aber das Geräusch stockte in ihrer Kehle. Mit aller Kraft klammerte sie sich an den ledernen Beutel, dessen Riemen um ihre Schulter gelegt war, und versuchte, ihr Knie zu heben, um der Gestalt in die Lende zu treten, aber ihre Angreifer waren vorbereitet. Ein Arm legte sich von hinten um ihren Hals, und die zweite Gestalt zückte ein Messer.

Als der Mann im Umhang gerade den Riemen ihrer Tasche durchtrennen wollte, tauchte eine hochgewachsene Silhouette aus dem Nichts auf und die zugehörige Person schlug mit der Faust nach Venetias Angreifer, woraufhin dieser das Gleichgewicht verlor. Mit einem schmerzerfüllten Grunzen fiel der Mann zurück und stolperte über seinen fluchenden Komplizen, bevor sie gemeinsam zu Boden gingen. Dann standen sie blitzschnell auf und flohen in das trübe Zwielicht.

„Va tutto bene, alles in Ordnung?“ Der sanfte Bariton des Fremden brach in Venetias desorientiertes Bewusstsein, als dieser besorgt in ihre großen bernsteinfarbenen Augen sah.

„Ja, ja, ich glaube schon“, keuchte sie, während ihre Hände sich automatisch schützend um ihren Hals legten.

„Sind Sie verletzt?“

„Nein, nein, nur ein bisschen aufgewühlt. Danke.“

„Sie zittern ja. Sie stehen unter Schock und brauchen etwas Warmes zu trinken. Kommen Sie, in der caffetteria um die Ecke gibt es die beste heiße Schokolade in ganz Venedig. Das wird Ihnen guttun.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, nahm er Venetia beim Arm und führte sie die schmale Straße hinunter.

Venetias Beine fühlten sich an wie Pudding und ihre Zähne klapperten. „Danke“, murmelte sie, während sie immer noch versuchte, zu Atem zu kommen und mit hämmerndem Herzen ihrem großen, breitschultrigen Retter folgte, der die Situation in seine Hand genommen zu haben schien.

So lässt das Schicksal seine Blitze mit federleichter Berührung in unser Leben schlagen und betäubt unsere Sinne gegenüber dem Sturm, den sie verursachen würden, wären wir uns ihrer alles verändernden Kräfte bewusst.

Schweigend saßen sie an einem Tisch in einer Ecke der gut besuchten caffetteria. Es war zu laut, um sich zu unterhalten, und Venetia war erschöpft, also konzentrierte sie sich darauf, den Mann zu betrachten, der ihr gegenüber saß, während sie der Musik lauschte: Minas nostalgisches Liebeslied von 1960, „Il Cielo in una Stanz a“, der schamlos romantische Hit, der so unglaublich italienisch war, dass man ihn im ganzen Land nach wie vor als beliebten Klassiker spielte.

Venetias Schutzengel sah eher aus wie Luzifer als ein Wesen des Himmels mit seinen tosenden blauen Augen, die sich auffallend hell von dem warmen Braun seiner Haut abhoben und unter schweren, dunklen Brauen ein wenig anwinkelten, wenn er lächelte. Jetzt blickten sie diese Augen mit einer Emotion an, die sie verwirrte, und ein paar Sekunden lang ertappte sie sich dabei, hilflos in ihnen zu versinken. Es war, als sähe sie in schimmerndes, tiefes Wasser.

Starke, maskuline Konturen zierten seine nussbraunen Gesichtszüge unter einem dichten, schwarzen Kurzhaarschnitt, den er gepflegt aus seiner hohen Stirn gekämmt hatte. Er war nicht gutaussehend im klassischen Sinn, denn dafür war sein Gesicht zu markant, aber er strahlte kontrollierte Kraft aus wie jemand, der es gewohnt war, Entscheidungen zu treffen und sich dabei von nichts ins Wanken bringen ließ; ein harter, beeindruckender Mann. Dennoch wurde seine stählerne Erscheinung von der enigmatischen Kurve gemildert, mit der sich sein voller Mund an den Winkeln zu einem Versprechen des Lachens nach oben zog; zusammen mit dem tiefen Grübchen in der Mitte seines Kinns gab ihm das einen schelmischen Ausdruck, der Venetia gefiel.

Der Kellner brachte einen Becher heiße Schokolade, einen doppelten espresso und einen Teller biscotti, die, so sagte er, eine Aufmerksamkeit des Hauses waren – con i complimenti della casa. Offensichtlich war ihr Retter ein Stammgast.

Venetia nahm einen Schluck des dickflüssigen, warmen Getränks. Sie spürte, wie das Leben in sie zurückkehrte, als die süße Milch ihren Rachen hinunterlief und sich in ihrem Magen in ein warmes Gefühl verwandelte, das sich kurz darauf auch auf ihren Wangen zeigte.

Der Fremde lächelte sie an. „Schon besser?“

Sie nickte. „Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen.“

Sein Lächeln wurde breiter. „Gern geschehen, signorina. Es war mir eine Ehre, einer hübschen Dame helfen zu können. Mein Name ist Paolo Barone, stets zu Diensten.“

Venetia arbeitete seit über drei Jahren als Architektin und Einrichtungsberaterin bei der Firma ihrer Patentante und hatte sich an die galante Art und den Charme der italienischen Männer gewöhnt. Sie fand ihre Schlagfertigkeit erfrischend, manchmal sogar amüsant, nahm sie aber niemals zu ernst. Paolo Barone war anders. Vielleicht lag es daran, dass sie schockiert und verletzlich gewesen war, aber nichtsdestotrotz flößte dieser Mann, der zwar nicht mehr jung, aber immer noch im besten Alter war – Mitte bis Ende dreißig, schätzte sie –, ihrem Herzen Wärme ein, und sie entspannte sich. Obwohl die Umstände in diesem Fall andere waren, nahm sie aber nur ungern Einladungen von Fremden an und bemühte sich mit Absicht nicht um eine Unterhaltung; und zu ihrer Überraschung tat der Mann es ihr gleich.

Als sie mit beiden Händen die warme Tasse an ihre Lippen hielt, sah sie, wie er sie mit unverblümtem Interesse beobachtete. Erleichtert, dass die Wirkung des heißen Getränks auf ihren Wangen die leichte Verwirrung versteckte, die in ihr aufstieg, trank sie ein wenig zu schnell, verbrannte sich die Lippe und kühlte sie schnell mit der Zungenspitze. Als ihr klar wurde, was sie getan hatte, blickte sie auf und sah, dass sich etwas Neues in seinen Ausdruck geschlichen hatte, und schlug die Augen sofort wieder nieder.

Paolo lächelte sie an, als ihre Schokolade leer war. „Andiamo? Sollen wir gehen?“, fragte er und betrachtete sie mit geneigtem Kopf.

Leuchtende, haselnussbraune Augen mit Sprenkeln von Gold lächelten ihn mit langen, schwarzen Wimpern an, die irgendwie nicht zu ihrem kastanienbraunen Haar passten. „Ja. Vielen Dank für die heiße Schokolade. Es ist wirklich die beste, die ich in Venedig je getrunken habe.“

Er half ihr in den Mantel und hob ihre prachtvollen langen Locken über den Pelzkragen. Mit einem Meter zweiundsiebzig war Venetia groß, aber als er ihr gegenüberstand und begann, ihren Mantel zuzuknöpfen, bemerkte sie abermals, dass er deutlich größer war als sie. Seine Hände waren stark und männlich; sie spürte eine eigenartige Vertrautheit, als hätte er diese Handlung schon mehrere Male mit ihr vollzogen. Doch in dieses Gefühl mischte sich Scham; seine Berührung schien verglichen mit der unpersönlichen Gleichgültigkeit eines Fremden doch recht intim zu sein, und sie wich mit einem kleinen, nervösen Lachen zurück.

„Danke, das ist nicht nötig.“

Einen Moment lang hielt er ihrem Blick stand, als sei er überrascht über ihre Aussage, und sie sah wieder zu Boden, nicht in der Lage, diesen jetzt mitternachtsblauen Augen und ihrer brennenden Intensität zu begegnen. Dann lächelte er und hielt ihr die Tür auf.

„Übrigens kenne ich Ihren Namen noch nicht“, sagte Paolo, als sie in die neblige Nacht hinaustraten und auf den Canal Grande zugingen.

„Venetia. Venetia Aston-Montagu.“

Er hob eine Augenbraue. „Ein sehr romantischer Name, Venetia, wie unsere schöne Stadt. Aber Sie sind keine Italienerin? Sie sprechen Italienisch wie eine Einheimische.“

Sie lachte. „Danke für das Kompliment! Nein, ich stamme aus England, aber den Namen habe ich von meiner Patentante, die Venezianerin ist – sie war die beste Freundin meiner Mutter und bestand darauf, dass ich Italienisch lerne.“

„Also machen Sie hier Ferien?“

„Nein, ich lebe hier.“

„In der Nähe?“

„In Dorsoduro. Ich muss das vaporetto nehmen, denn der Eingang zu meinem Wohnhaus liegt am Canal Grande.“

„Mein Boot ist auf der anderen Straßenseite. Dorsoduro liegt auf meinem Heimweg. Es würde mich freuen, Sie abzusetzen.“

„Nein, danke. Sie waren schon mehr als freundlich.“

„Es ist spät und soll heute Nacht noch schneien. Das vaporetto wird fast leer sein. Ich möchte nicht, dass Ihnen etwas zustößt, signorina. Ich werde Sie mitnehmen.“ Er sprach leise und mit herrischem Unterton, während er eine Hand an ihren Ellbogen hob, der sie hastig auswich.

Das Angebot war verlockend, aber Venetia erlaubte sich nicht, es anzunehmen. Dieser Fremde war ein wenig zu aufmerksam, dachte sie, und obwohl sie die heiße Schokolade nach ihrem Schock dankbar angenommen hatte, war sie es nicht gewohnt, einem Mann so schnell näherzukommen.

„Nein, wirklich, vielen Dank. Ich fahre immer mit dem vaporetto. Keine Sorge.“

Paolo drängte sie nicht weiter, und sie legten den restlichen Weg durch die schmalen, gewundenen Gassen schweigend zurück. Venetia spürte seine Nähe in jeder Faser ihres Seins.

Es war bitterkalt. Der Wind heulte durch die Straßen und schwere Wolken hingen über Venedig wie ein weißer Mantel. Als sie die Haltestelle des Wassertaxis erreichten, fielen die ersten Schneeflocken. Ein paar Gondeln, deren hohe Metallschweife bedrohlich aus dem samtigen Nebel stachen, glitten zügig über das sanft schwappende Gewässer.

„Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht nach Hause bringen darf? Es sieht nach einem Schneesturm aus, vielleicht hat das vaporetto Verspätung.“ Er sah sie mit einem höflichen, aber vorsichtigen Lächeln an und einen Moment lang bedauerte sie ihre Entschlossenheit, vor ihm davonzulaufen.

Eine neuerliche Zurückweisung wurde Paolos Stolz erspart, als das knirschende Schnurren des Wassertaxis sein träges Eintreffen bekundete.

„Mein Taxi kommt“, sagte Venetia fröhlich. „Ich werde im Handumdrehen zu Hause sein.“

Das Boot tauchte auf und näherte sich der kleinen Haltestelle, bevor es an den Steg stieß.

„Danke noch mal für Ihre Hilfe, signore“, fuhr sie fort und streckte lächelnd ihre zierliche, perfekt manikürte Hand aus, um sich zu verabschieden. Paolo nahm sie in seine, die groß und warm war, und hielt sie ein wenig länger fest, als üblich gewesen wäre. Hitzewellen durchfuhren Venetia, ihre Sinne plötzlich geschärft durch seine Berührung. Abrupt zog sie ihre Hand zurück.

Mit seinen blauen Falkenaugen sah er zu ihr hinab, seine Absichten unmöglich zu erraten, und zögerte einen Moment lang. „Darf ich Sie morgen Abend zum Essen einladen?“, fragte er mit leiser Stimme.

Es wäre aufregend, mit Paolo zu essen, dachte sie, aber du musst vor diesem Mann fliehen, befahl ihr das Echo einer unerbittlichen inneren Stimme; dieser Mann hat die Macht, dir wehzutun.

„Es tut mir wirklich leid“, antwortete sie steif. „Ich fürchte, ich bin beschäftigt.“

„Das ist schade.“ Er klang, als meine er es ernst, drängte sie aber nicht weiter und ließ sie dadurch mit einem Gefühl neugieriger Enttäuschung zurück. Schweigend streckte er noch einmal seine Hand aus, und sie nahm sie, ebenfalls ohne ein Wort.

In seinem festen Griff lag nichts Ungenaues oder Lockeres. Wie viele Menschen schätzte Venetia Charakter nach der Qualität eines Handschüttelns ein und hatte viele Männer gekannt, die zwar vital und kräftig wirkten, deren Händedruck sich aber anfühlte wie ein toter Fisch. Und wieder stellte sie fest, dass die Kraft und Vitalität Paolos großer, sensibler Hände sie tief berührte.

Eilig stieg sie in das vaporetto, mit einem Mal voller Fluchtinstinkt, aber als das Wassertaxi ablegte, sich von dem Kai entfernte und sie ihm nachsah, wie er die Stufen hinaufging, bevor er in der schneeweißen Nacht verschwand, fragte sie sich mit einem sinkenden Gefühl im Herzen, ob sie ihn jemals wiedersehen würde.

* * *

Es ergab sich, dass sie sich in den folgenden Wochen oft im Fritelli über den Weg liefen, einem Coffee Shop auf dem Markusplatz, wo Venetia jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit einen cappuccino und ein biscotti zu sich nahm und sich an den Wochenenden mit Freunden zum Nachmittagstee traf. Meistens kam Paolo gerade, als sie aufbrach. Wenn sich ihre Blicke begegneten, hatte er zwar höflich gelächelt, sie aber nie angesprochen.

Und dann war Paolo heute Abend in der Martedì Grasso bei dem großen Ball, der il Conte Umberto Palermi di Orellana zur Einweihung seines neuen Hauses am Markusplatz und anlässlich des ersten Karnevals im neuen Jahrtausend gab, zu Gast gewesen.

Sein enges Harlekinkostüm mit buntem Karomuster und einem kurzen, fransigen Kragen lag an seinem muskulösen Körper wie eine zweite Haut, und er trug eine weiße Baskenmütze aus Filz, an der ein Hasenschwanz hing. Venetia stockte fast der Atem, als sie den riesigen Ballsaal betrat und ihn hinter dem teuflischen Umriss seiner schwarzen ledernen Halbmaske erkannte, nicht nur, weil sein athletischer Körper die meisten anderen Gäste überragte, sondern auch an der gelassenen, fast gebieterischen Haltung, mit der er sich durch die Menge bewegte; und natürlich war da noch das tiefe Grübchen in der Mitte seines Kinns, das ihn immer verraten würde.

Den ganzen Abend hatte Venetia gespürt, wie die durchdringenden, azurblauen Augen ihr durch den Saal gefolgt waren, und wenn sich ihre Blicke gelegentlich trafen, konnte sie sich dem Magnetismus des Mannes kaum entziehen. Keiner der beiden ging auf den anderen zu; sie hatten lediglich die Wahrnehmung des anderen umkreist, die permanent in der Luft zu spüren war, ganz egal, wie stark die Menge sich auch verdichtete. Und jetzt, wo sie vor dem Spiegel stand, hatte sie ihn in den halbdunklen Schatten wiedergesehen, die Reflektion seiner kräftigen Silhouette vom tanzenden Licht des Feuers auf das Glas gemalt, Teufelei glitzerte hinter seiner schwarzen Maske.

Zwei Damen in voller Karnevalsbekleidung, die Köpfe in Schleier aus schwarzer Spitze gehüllt, kamen aus dem Ballsaal und unterbrachen Venetias Tagträume. Sie sah auf die Uhr. Feuerlicht fiel warm auf die goldenen Zeiger. Für sie war die Zeit stehengeblieben und sie war verblüfft darüber, wie lange sie dort gestanden und sich im Echo einer verlorenen Liebe an ihr verlorenes Leben erinnert hatte. Es war Zeit, zur Party zurückzukehren.

Venetia nahm ihre Kolombinenmaske ab. Sie spürte, dass sie noch halb in der Vergangenheit schwebte und wartete einen Moment lang mit der Hand am Türknauf, lauschte dem Stimmengemurmel und Lachen der Menschen, bevor sie den Knauf drehte und eintrat.

Der lange Saal, der von riesigen Muranolüstern in ein goldenes Licht getaucht wurde, war voller Menschen, die Gesichter größtenteils verborgen hinter Karnevalsmasken, ihre üppigen, farbenfrohen Kostüme glitzerten mit Diamanten, Rubinen, Saphiren und Juwelen. Die Damen, von ihren Kostümen verwandelt in prächtig dahintreibende Berge von Burano-Spitze mit bunten Pfauenschwänzen aus Brokat, wedelten mit Fächern vor ihren falschen Gesichtern herum, die Köpfe verziert mit sauber angesteckten, kleinen tricorne-Hüten. Auch die Männer trugen Masken, aber ihre hatten lange Nasen wie Schnäbel – die berühmten „bauta“: das venezianische Kostüm par excellence.

Viele ihrer Kostüme bestanden aus voluminösen schwarzen Umhängen, die sie sich hoch um ihre Hälse geschlungen hatten und die sie mit ihren weißen Strumpfhosen wie Krähen und Elstern aussehen ließen. Auf ihren Köpfen saßen große tricorne-Hüte mit dramatischen, von flatternden weißen Federn verzierten Rändern. Es gab auch Kostüme, die von der klassischen Bekleidung bei Hofe inspiriert waren, und allerlei andere, fantasievolle Verkleidungen. Die surreale Szene erinnerte Venetia an das düstere Gemälde „Il Ridotto“ des venezianischen Künstlers Pietro Longhi, dessen makabre, maskierte und in Schatten gehüllte Gestalten des achtzehnten Jahrhunderts sie immer so unheimlich gefunden hatte.

Nachdem sich die schwere Tür hinter ihr geschlossen hatte, stand sie unauffällig an der Wand und sah den Gästen in ihren fantastischen Kostümen zu, manche maskiert und andere nicht, aber alle fröhlich schwatzend und lachend. Sie fühlte sich in ihrem einfachen sobretta-Kostüm mit seinem niedrig geschnittenen Mieder, dem Flickwerk aus roten, grünen und blauen Karomustern, weißer Schürze und der Morgenhaube aus Spitze ein wenig underdressed. Es repräsentierte die Kolombine, eine Frau des Volkes und die selbstbewusste Magd in der Commedia dell’Arte, das Gegenstück des Harlekin und manchmal auch seine Frau. Ihre Patentante hatte ihr das Kostüm für einen Neujahrs-Maskenball in London geschenkt, und es hatte den ersten Preis gewonnen; tatsächlich hatte sie Judd bei diesem Ball kennengelernt, aber das war so viele Jahre her … Seitdem war so viel geschehen … Sie durfte jetzt nicht daran denken. Sie schüttelte ihre finstere Laune ab und mischte sich unter die Feiernden.

Obwohl sie in diesem Pandämonium der Masken unterbewusst nach ihm suchte, sah Venetia Paolo nicht sofort. Als sie ihn schließlich erblickte, hatte er seine Maske abgenommen und stand am anderen Ende des Saales, in einer Hand ein Glas Champagner, die andere ruhte an einer korinthischen Säule. Er strahlte Kraft und Stabilität aus, und die anderen Männer im Raum schienen im Kontrast zu ihm verblassen. Obwohl sein Körper rank und schlank war, hatte seine Ausstrahlung etwas Furchteinflößendes, fast Unmenschliches. Sie musste zugeben, dass Paolo mit seinem dunklen Haar und dem gebräunten Gesicht, das von diesen fesselnden Kobaltaugen aufgehellt wurde, der aparteste Mann war, den sie je gesehen hatte: wie ein gefallener Engel.

Er war umgeben von anderen Figuren der Commedia dell’Arte.

Es gab il Dottore in einem langen, schwarzen Wams mit einer Jacke, die ihm bis zu den Knöcheln reichte, schwarzen Schuhen, einer Totenkopfmütze und ungewöhnlichen, schwarzen Maske, die nur die Nase und die Stirn bedeckte; ilCapitano in seinem Anzug mit bunten Streifen und vergoldeten Knöpfen, Federhut und gräulichem Schwert; und Pulcinella in einer losen Leinenbluse, die er mit einem Seil über dünne Strumpfhosen und unter einen riesigen, schiefen Bauch geschnürt hatte, sein Hut und die Halbmaske mit Hakennase verliehen ihm einen vogelhaften Ausdruck.

Paolo beobachtete Venetia unablässig und hörte nur mit einem Ohr der temperamentvollen cortigiana in goldenem Kostüm zu, mit tiefem Ausschnitt und einem hohen, konischen Hut auf dem Kopf. Sein Gesicht hob sich deutlich von der ockerfarbenen Wand ab und begann zu strahlen, als sein Gastgeber auf ihn zukam. Sie unterhielten sich ein paar Minuten, bevor sie sich einen Weg durch die Menge bahnten und auf Venetia zugingen.

Il Conte Umberto Palermi di Orellana war ein hochgewachsener, gutaussehender Adliger in den frühen Dreißigern, bekannt als bon viveur und Schürzenjäger. Heute Abend war er Lelio, der elegante innamorato, Geliebter der Commedia dell’Arte, in eleganter Hofkleidung des achtzehnten Jahrhunderts. Wie es sich für diese Figur gehörte, trug er keine Maske. Er hatte Giovanna Lombardi, Venetias Patentante, bei einer Cocktailparty kennengelernt und war ein paar Wochen später bei Giovannas Firma Bianchi e Lombardi aufgetaucht: Er brauchte Architekten, um den Palazzo Palermi zu renovieren, den er gerade von seinem Vater geerbt hatte und der dringend eine gründliche Verschönerung benötigte.

Die Renovierung und Umgestaltung alter, historischer Gebäude war Venetias Spezialität und der Palazzo Palermi war ihr erstes großes Projekt bei der Firma ihrer Patentante geworden. Nach ihrem Abschluss in Cambridge hatte sie ein Masterstudium in Kunstgeschichte am Courtauld Institute of Art in London absolviert und dann etwas Zeit am Istituto per l’Arte e il Restauro „Palazzo Spinelli“ in Florenz verbracht.

Obwohl sie vielversprechendes Talent für unkompliziertere Architektur besaß, gehörte ihr Herz einem anderen Stil, und so hatte Giovanna sie für Marmi Storici e Pietra verantwortlich gemacht, die Abteilung für die Restauration historischer Gebäude, wo sie ihre Leidenschaft für Mosaike und Wandgemälde ausleben konnte. Sofort war sie aufgeblüht und hatte begonnen, sich einen Namen in Venedig zu machen.

Dennoch hatte die Fertigstellung ihres ersten großen Projektes beinahe ein Jahr gedauert, und in dieser Zeit hatte Umberto jeden Trick aus seiner Kiste gefischt, um die junge Frau zu verführen. Vergeblich: Sein adonisch gutes Aussehen und sein Charme ließen sie kalt. Am Ende des Auftrages hatte Venetia nicht nur das Projekt fertiggestellt, ohne auf den notorischen Frauenhelden hereingefallen zu sein, sondern sich auch die Bewunderung und den Respekt des Grafen verdient. Sogar in einem solchen Maß, dass er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte, der von ihr vorsichtig und sanft abgelehnt worden war. Umberto hatte die Zurückweisung mit Fassung getragen, allerdings nicht ohne ihr zu versichern, dass er die Hoffnung nicht aufgeben würde und sie mit einem neuerlichen Antrag zu rechnen hatte.

„Venetia, cara, du siehst bezaubernd aus“, Säuselte Umberto Palermi, während er ihre Hand an seine Lippen führte, seine Augen glänzten vor Wollust. „Ich habe dich ja den ganzen Abend vernachlässigt. Bitte verzeih mir.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, fügte er hinzu: „Kennst du meinen besten Freund, il Signor Paolo Barone?“ Er wandte sich an den Harlekin und stellte sie vor. „La Signorina Aston-Montagu, die mit einem Wink ihres Zauberstabes aus einem Haufen Ruinen diesen magnifico palazzo erschaffen hat.“

Ein Licht funkelte in Paolos Augen. „Nein, ich glaube nicht, dass ich schon das Vergnügen hatte, die signorina kennenzulernen“, antwortete er in tiefem, erotischem Ton.

Venetia spürte, wie sie errötete. Es war wirklich nervtötend, dass man seine eigene Farbe nicht kontrollieren konnte. Als sie Paolo ansah, war sie sicher, dass ihm aufgefallen war, wie er auf sie wirkte. Mit ein wenig Glück würde er glauben, dass es Umbertos Nähe war, die sie erröten ließ. Während er seinen kraftvollen, maskulinen Blick über sie wandern ließ, durchfuhr sie eine unfreiwillige Welle der Erregung. Sie erinnerte sich an ihre Manieren und streckte eine Hand aus.

„Wie geht es Ihnen?“

Bevor ihre Hände sich berühren konnten, hörte man ein donnerndes Krachen.

„Ah, das Feuerwerk beginnt“, rief der Graf und nahm Venetia beim Arm. „Komm. Gehen wir hinaus.“

Der schwere Brokatvorhang wurde von zwei Pagen in Kostümen des achtzehnten Jahrhunderts zur Seite gezogen und elegante raumhohe Fenster öffneten sich, um den Gästen Zutritt zu der weitläufigen Veranda zu gewähren. Venetia war dankbar für die Unterbrechung, die sie aus den Fängen Paolos stiller Beobachtung befreite. Seit dieser Zeit, die so lange zurücklag, hatte kein Mann sie mehr so berührt wie er, schier vom ersten Augenblick dieses seltsamen, dramatischen Abends an. Und während Umberto sie auf die Terrasse führte, hatte Venetia, obwohl sie ihn nicht sehen konnte, keinen Zweifel daran, dass Paolos Augen immer noch mit diesem neugierigen Ausdruck auf ihr lagen, an den sie sich zu gewöhnen begann und der sie so verwirrte.

Umbertos palazzo, der nur ein paar Straßen vom Markusplatz entfernt war, hatte einen beneidenswerten Blick über die Wasserwege, wo der Hals des Canal Grande vor dem berühmtesten Platz der Stadt in das breitere Gewässer mündete. Der breite Kanal war gefüllt mit Booten und Kähnen, die auf dem dunklen Wasser dahinglitten wie Glühwürmchen: Jedes Schiff war verziert mit Bögen aus Blättern, Farnen und Lorbeerranken, beleuchtet von Girlanden aus Papierlaternen drifteten sie durch ein Meer schaukelnder Gondeln.

Vom anderen Ende des Canal Grande, wo sich die Docks der Schifffahrt befanden, brach plötzlich ein Festspiel berauschender Lichter in die dumpfe Finsternis, als der mysteriöse Nachthimmel von brennenden, tanzenden Juwelen erleuchtet wurde wie von Sternen.

Die Feuerwerkskörper schossen in die Luft, wo sie in Strahlen leuchtender Diamanten explodierten und dann wieder zu Boden stürzten, während sie erloschen. Andere kleine Lichter erschienen, gefolgt von züngelnden Flammen, die an verschiedenen Orten hinaufschnellten und große, glühende Blasen von silbrigem Blau und Saphirgrün ausstrahlten. Einer nach dem anderen sausten die rasenden Geschosse zischend in den Himmel und zerbarsten hoch über dem Wasser mit einem sanften Knall zu einer goldenen Funkenschar. Einen Moment lang hingen sie unsicher zitternd am Firmament, dann regneten sie prasselnd wieder hinab.

Rauchwolken perlten unter den Bäumen des piazza hervor, wurden zuerst dunkelrot, dann rosa, gelb und schließlich opalgrün – wabernde Nebel, die alles verschlangen und die Menschen und Gebäude in märchenhafte, surreale, von Gold bestäubte Gemälde verwandelten.

Und dann krümmte sich ein kristallener Wasserfall wie eine Welle aus dem Dunkel, der in die Finsternis strömte, weiß schimmernd und lautlos. Meterweit floss der wundersame Fluss aus Silber, und ein lautes Raunen ging durch die Mengen, die von ihren Booten und den Ufern aus zusahen.

Zu Venetias Erleichterung wurde Umberto in diesem Moment weggerufen, aber Paolo blieb. Sie spürte, wie sein Blick auf ihr ruhte, und erschauderte, obwohl sie von dem herrlichen Schauspiel gefesselt war, das sich vor ihr abspielte. Fasziniert sah sie zu, wie riesige Wolken aus goldenem Sprühregen in den Himmel sausten wie explodierende Feuerfedern, und grüne Räder sich wild drehten, während sie glühende Funken und blühende Flammenblumen von sich warfen.

Vor dem spektakulären Finale gab es eine Pause. Weiche, bunte Sterne stieben hinauf in die Nacht. Einer nach dem anderen schwebten Sträuße von zartem Rosa, Korallenrot und Flieder langsam in den Himmel, wo sie exotisch aufblühten und dann wie in Zeitlupe wieder in das tiefschwarze Wasser hinabfielen, das sie mit einem Kuss in sich aufnahm.

Es war das erste Mal, dass Venetia ein solches Feuerwerk von Nahem gesehen hatte, und eine seltsame Aufregung breitete sich in ihr aus wie die glitzernden Farben, die sich über den dunklen Himmel ausgebreitet hatten. „Ein Traum, geboren in der Nachtluft“, flüsterte sie zu sich selbst, als das schimmernde Wunder vorüber war.

„Nur dieser eine Augenblick rasender Schönheit, bevor sie sich selbst verzehren und sterben“, antwortete Paolos Stimme aus der Dunkelheit hinter ihr.

Als seine Stimme sie streichelte, wurde sie sich seiner beunruhigenden Anwesenheit noch stärker bewusst und wusste nicht, ob sie seine Gesellschaft begrüßen oder vor ihm davonlaufen sollte.

Nach einem kurzen Augenblick hörte sie ihn wieder flüstern. „Einmal sollte das Leben das für jeden bereithalten.“

„Und manchmal tut es das“, hauchte sie, ohne sich umzudrehen.

Der Abend hatte einen lebhaften, unwirklichen Zauber angenommen, den sie nicht loslassen wollte. Sie musste nicht mit ihm sprechen, um zu wissen, dass er es auch spürte, und diese Verbindung zwischen ihnen, die keine Worte benötigte, weckte zugleich Neugierde und Angst in ihr.

Die Gäste drängten sich wieder in den Ballsaal. Schweigend nahm Paolo Venetias Arm und führte sie in die entgegengesetzte Richtung zu der Balustrade, die den Kanal überblickte. Er lehnte sich mit dem Rücken an das steinerne Geländer, nahm eine Packung Zigaretten aus der Tasche und bot ihr eine an. Sie lehnte ab.

„Darf ich?“

„Ja, natürlich, nur zu.“

Er zündete sich die Zigarette an, nahm einen langen Zug und schüttelte den Kopf. „Ein beeindruckendes Spektakel, findest du nicht? Die letzten genussvollen Momente vor der Geißelung der Fastenzeit!“ Irgendwie steckte er sie an, als er tief und kehlig lachte.

„Es war wirklich eine wundervolle Show. So etwas habe ich noch nie gesehen!“

„Nur Venezianer können auf so extravagante Art und Weise feiern, und der Anbruch eines neuen Jahrtausends macht diese Laune umso wilder. Es ist alles Teil einer langen Geschichte von Festivitäten und Dekadenz in dieser Stadt, von denen Prinzen und Untertanen, die Reichen und die Armen gleichermaßen Teil waren und sich völlig frei und sorglos bewegen konnten, da niemand ihre wahre Identität kannte. Der Karneval befriedigt das tiefe menschliche Bedürfnis der Täuschung, findest du nicht?“ Er sah sie wieder an, sein Ausdruck unmöglich zu entziffern.

Sie erwiderte seinen Blick von der Seite. „Ich denke, es ist den Menschen eine willkommene Gelegenheit, sich hinter einer Maske zu verstecken und jemand anderes zu sein als im wirklichen Leben.“

Trotz der Kälte blieben sie eine Weile auf der Veranda und betrachteten schweigend die Stadt im Mondlicht. All ihre Lichter spiegelten sich in den kleinen Wellen des Canal Grande wider, wo sie sich in unzählige Funken brachen wie Diamantenstaub; über den fernen Dächern glitzerte ein samtiges Himmeldach, in dem pudrige Sterne glimmten.

Paolo hatte sich umgedreht, um die überwältigende Aussicht zu genießen, die vor ihnen lag. „Es gibt keine menschlichen Kunstwerke, die sich mit dem Anblick Venedigs im Mondschein messen können“, murmelte er wie zu sich selbst, seine Aufmerksamkeit auf die endlosen Reihen der palazzi gerichtet, deren marmorne Fassaden bei Nacht in jugendliches Weiß getaucht waren. „Ein paar Stunden lang versteckt der Mond die furchtbaren, verrottenden Fassaden der Stadt hinter einer silbernen Maske und verleiht ihr eine feenhafte, unschuldige Anmut. Wenn sie so aussieht, kann man sich den Zerfall nicht ausmalen, der an ihrem Kern nagt.“ Dann wandte er sich wieder um und fügte hinzu: „Ein böses Erwachen für den nichtsahnenden Touristen, wenn das Tageslicht ihn heimsucht, findest du nicht auch?“ Leidenschaft und ein Hauch von Melancholie lagen in seiner Stimme, und erneut stellte sie fest, wie ihr tiefes Timbre sie auf eine Art und Weise in seinen Bann zog, die sie nur schwer begreifen konnte.

Seine Worte gaben Venetias Gedanken wider, aber nicht ganz genau. Seit sie sich erinnern konnte, hatte Venedig im Mondschein eine seltsame, magische Anziehungskraft auf sie ausgeübt. Sie sah den Zerfall nicht, sondern nur den Zauber. Das Weiß von Paolos Kragen bildete einen Kontrast zu der dunklen Bräune seiner Haut. Sie schwieg, war sich seiner aber bewusster als je zuvor. Zum ersten Mal hielt sie seinem rauchig-blauen Blick stand und war fasziniert von der Wechselhaftigkeit seiner Augenfarbe, aber gleichermaßen verstört von ihrem traurigen Ausdruck und der Bitterkeit in seiner Stimme. Sie sahen einander an und ein eigenartiges Gefühl bebte in ihr, wie die Vibration eines Geigenbogens, wenn er sich auf die Saiten legte. Dieser kurze Augenblick, der sich für Venetia viel länger anfühlte, verursachte ihr Unbehagen.

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Ich muss wirklich gehen.“

„Um diese Zeit fahren keine vaporetti mehr“, merkte Paolo an, dessen Blick immer noch unverblümt auf ihrem Gesicht lag, „und selbst wenn es noch ein paar wenige gäbe, wären sie nicht sicher – heute Nacht sind zu viele Betrunkene unterwegs. Lass mich dich fahren. Mein Boot liegt nicht weit von hier.“

„Ich bin sicher, dass ich ohne Probleme ein Wassertaxi finden werde.“

Urplötzlich verdunkelten sich seine Augen. „Was tut eine hübsche Frau wie du allein in der Stadt, mitten in der Nacht? Ich kann nicht glauben, dass du keinen fidanzato hast, Venetia. Ist der Mann unterwegs? Hast du keinen Vater? Keine Mutter? Keinen Bruder, der sich um dich kümmert?“ Sein Ausbruch war beinahe wütend, als er seine Zigarette auf den Boden warf und sie mit dem Absatz ausdrückte.

Venetia zügelte sich irritiert, aber in das Gefühl mischte sich eine eigenartige Aufregung: Er hatte zum ersten Mal ihren Namen benutzt. Diese Fragen waren ziemlich direkt, dachte sie, konzentrierte sich auf ihre Empörung. Die Tatsache, dass er sie vor einem Raubüberfall gerettet hatte, gab ihm kein Recht, persönlich zu werden, und die Vehemenz, mit der er seine Aussage unterstrichen hatte, war zu besitzergreifend für ihren Geschmack. Venetia verachtete Machos; schließlich hatte sie sich nach dem Tod ihrer Mutter für ein Leben in Venedig entschieden, um vor einem dominanten Vater zu fliehen.

Sie zwang sich zu einem steifen Lächeln. „Wirklich, es ist alles in Ordnung. Danke für deine Hilfe.“

Paolo seufzte. „Wie du willst, signorina, aber lass mich wenigstens mit dir gehen, bis du ein Taxi hast. Ich glaube nicht, dass dir klar ist, wie diese Stadt in der Karnevalsnacht ist. Vergiss nicht, es ist der erste Karneval des neuen Jahrtausends. Die Venezianer feiern heute noch ausgelassener als in den vergangenen Jahren. Auf dem Markusplatz, den du überqueren musst, werden sich Szenen abspielen, die man sich kaum vorstellen kann.“

Venetia zögerte. Er hatte wahrscheinlich recht: Schon auf dem Weg zum Ball war ihr die Reise ein wenig riskant vorgekommen. Dennoch war sie sich unsicher. Manchmal erschreckte sie die Anziehungskraft seiner Präsenz und die Besitzgier, die er ausstrahlte, schnürte ihr die Luft ab, obwohl sie wusste, dass sein Vorschlag vernünftig war.

Paolo runzelte die Stirn, seine Lippen schürzten sich leicht. „Wovor hast du Angst? Es ist viel gefährlicher für dich, allein durch die Stadt zu gehen als auf meinem Boot mitzufahren.“ Sein Gesicht wurde weicher, als er versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. „Ich verspreche: Ich bin harmlos.“

Sie lachten. Seine Argumente machten Sinn. „Also gut, ich gebe zu, dass es in einer Nacht wie dieser ziemlich riskant für mich wäre, allein durch die Stadt zu gehen“, sagte sie zurückhaltend. „Aber ich bestehe trotzdem darauf, dass du nur mit mir gehst, bis ich ein Taxi gefunden habe, und dann trennen sich unsere Wege.“

„In Ordnung.“ Er zuckte mit den Schultern, aber seine Augen funkelten amüsiert. „Du bist eine ärgerlich dickköpfige junge Frau.“

Nachdem sie ihre Mäntel geholt hatten, machten sie sich auf die Suche nach ihrem Gastgeber, um sich zu verabschieden und ihm für seine Gastfreundschaft zu danken. Venetia sah, dass es Umberto ein wenig verstimmte, sie zusammen gehen zu sehen; er warf ihnen einen säuerlichen Blick zu, hielt aber jeglichen Kommentar zurück.

Die kühle, salzige Brise war nach der rauchigen Atmosphäre des Palazzo Palermi belebend. Venedig war in dieser Nacht eine berauschte Stadt, und obwohl es so spät war, tobte der Karneval noch überall. Die Mengen strömten durch die Sicherheitsbarrieren, um einander in spielerischen Kämpfen zu schubsen, Blumen umherzuwerfen und auf der Straße zu tanzen, und die poliziotti versuchten wohlgestimmt, sie unter Kontrolle zu halten, was ihnen aber nicht gelang.

Wie ein Diamant hatte diese wunderschöne Stadt, Königin der Adria – auch La Serenissima genannt –, tausend Facetten. Die Sterne im Himmel spiegelten das herrliche Glitzern in den Straßen wider: Die Arkaden am Markusplatz waren hell erleuchtet, die Geschäfte und Alkoven schimmerten wie Kristallgrotten – säkulare, geistliche Gebäude, die das Licht in etwas noch Herrlicheres verwandelte. Aber das war die einzige Bühne, auf der sich Figuren zu bewegen schienen. Sie waren Karikaturen des Lebens, am Rand der Realität, zugleich amüsant, düster und verstörend. Laute Musik erklang in jeder Ecke, zu Tausenden tanzten Karnevalsbesucher zu Vivaldi über die erleuchteten piazze, ihre Gesichter verborgen hinter ausdruckslosen Masken, deren Augen nichts als Schlitze waren.

Paolo hatte recht. Wohin Venetia auch sah, feierten, sangen und umarmten sich die Maskierten ohne Zurückhaltung in einer riesigen, wogenden commedia. Es schien, als ob sie hinter ihren Masken tatsächlich die Hemmungen der alltäglichen Konventionen verloren, und sie war froh, dass sie Paolos Angebot angenommen hatte, mit ihr zum Taxi zu gehen. Legionen von Feiernden standen wild grölend am Pier der Punta della Dogana und der Punta della Salute; in der Masse der geschmückten Boote warteten einige weitere Zuschauer auf die Damenregatta auf dem Canal Grande, einem ungewöhnlichen und eindeutig willkommenen Spektakel für viele der männlichen Venezianer, die sich über die Geländer lehnten und den Teilnehmerinnen lustvolle Ermutigungen zuriefen.

Paolo ging mit schnellen Schritten neben ihr her und hielt sie beschützerisch am Arm, als wollte er sie vor jeglichem Körperkontakt mit den Feiernden bewahren, die sich auf den Plätzen und Brücken tummelten. Einen Augenblick lang vergaß sie ihre Missstimmung und dachte darüber nach, dass dieser Mann, der so geerdet und so selbstsicher schien, ganz anders war als die Männer, die sie in den letzten zehn Jahren kennengelernt hatte. Sie fühlte sich stark zu seiner Mischung aus Eleganz und machohafter Männlichkeit hingezogen.

Sie waren seit fast einer halben Stunde unterwegs, als Venetia der Wahrheit ins Auge blicken musste: Es gab keine Taxis mehr; die gesamte Stadt war mit dem Karneval beschäftigt.

„Allora, signorina, was meinst du? Darf ich dich mit meinem Boot nach Hause fahren oder würdest du lieber den Rest der Nacht ziellos durch Venedig irren?“

Sie hatten einen Kai erreicht, an dem einige luxuriöse Boote vertäut waren. Das Lächeln, mit dem er sie ansah, erhellte sein Gesicht mit einer plötzlichen Jungenhaftigkeit und lüftete den Schleier der Bitterkeit, den sie vorher auf der Veranda gesehen hatte.

„Um ehrlich zu sein, komme ich mir ziemlich unvernünftig vor.“ Sie schlug verlegen den Blick nieder.

Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie sanft. „Non ti preoccupare, keine Sorge. Es ist nichts passiert. Mein Boot ist hier.“ Er zeigte auf ein elegantes Boot aus wunderschönem, poliertem Mahagoni, dessen Name LaSerenissima in dunkelroten Buchstaben auf seiner Seite prangte. „Es ist kein Problem, dich an deiner Wohnung in Dorsoduro abzusetzen. Ich sagte ja schon einmal, dass es auf meinem Weg liegt.“

„Danke, ich wüsste wirklich nicht, was ich ohne dich getan hätte.“

„Auf Italienisch sagen wir: ‚La necessità è la madre dell’invenzione‘, Not macht erfinderisch.“

„Dieses Sprichwort gibt es in England auch, ein weiteres wäre ‚Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul‘!“, antwortete Venetia und lachte nervös.

Er streckte eine Hand aus, um ihr an Bord zu helfen, und Venetia ließ den großen, schwarzweiß gestreiften Poller des Stegs los und stieg hinunter zum Boot. Als es zu schaukeln begann, verlor sie das Gleichgewicht und wäre kopfüber in das schmierige Wasser gestürzt, hätte Paolo sie nicht mit bemerkenswerter Geschicklichkeit aufgefangen. Sie fiel an seine Brust, der Atem wurde ihr aus der Lunge gepresst.

Die Hände auf ihren Oberarmen waren hart wie Stahl; sein aufrechter Körper so nah an ihrem eigenen, dass sie sich nicht gegen die Hitze wehren konnte, die abermals durch sie hinabfuhr. Paolo murmelte etwas in ihr Haar, das sie nicht verstand, und sie blickte auf, um in scheinbar unendlicher Entfernung blaue Augen zu sehen, die so hell leuchteten, dass sie aussahen wie Saphire. Alle Gedanken verschwanden aus ihrem Kopf.

Einen Moment lang sahen sie sich an und vergaßen alles andere um sich herum. Paolo zog Venetia ein wenig näher an sich und ihre Hand rutschte auf seine Brust hinunter. Sie spürte das gleichmäßige Pochen seines Herzens unter ihren Fingern und die Wärme seiner Haut, die durch seine Kleidung drang. Sein muskulöser Körper war schlank und hart, der würzige Duft seines Rasierwassers, der sich mit dem Aroma von Tabak vermischte, machte sie schwindelig. Sein Gesicht war ihrem jetzt so nahe, dass sie die tiefen Falten neben seinen Augen und seinem Mund sehen konnte und auch ein paar andere, flachere Linien, die sich auf seiner gebräunten Haut abzeichneten. Aus dieser Nähe sah er älter aus; in seinem dicken, schwarzen Haar zeigten sich vereinzelte Strähnen von Grau. Trotz des Lärms und des Pandämoniums, das sie umgab, standen sie beieinander, als wären sie allein auf der Welt.

Flammen loderten durch Venetia, als sie ihm plötzlich noch näher sein wollte, sich in seinen starken Armen verlieren wollte, wollte, dass sein Mund sich auf ihren legte, dass … Sie schloss die Augen, als sie spürte, wie ihr Verlangen sich steigerte – die schmerzhafte Sehnsucht nach seiner Berührung … Hier handelte es sich nicht nur um Wahnsinn, sondern es war auch gefährlich; aber es war lange her, seit sie diese Wallung in sich gespürt hatte, seit sie von der Wärme eines männlichen Körpers so erregt worden war und ihre Emotionen sie mit solcher Macht überwältigt hatten. Sie wusste, was hier geschah, und sie hasste es, aber sie konnte sich nicht dagegen wehren.

„Du bist müde; du kannst ja fast nicht mehr stehen. Komm rein und setz dich, du zitterst.“ Paolos Stimme drang durch den widerwilligen Nebel ihres Verlangens zu ihr, während er sie zu einer der weichen Lederbänke in der Kajüte führte. Er setzte sie, brachte ihr ein fingerhutgroßes Glas grappa und ließ sich neben ihr nieder, nachdem er sich selbst auch eingeschenkt hatte. „Hier, trink das. Es wird dich aufwärmen.“

„Grazie. Ancora una volta sei venuto in mio soccorso, du rettest mich schon wieder“, sagte sie mit einer neuen Freude in der Stimme, als sie Paolo das Glas aus der Hand nahm und versuchte, sich zu beruhigen. Sie war dankbar, dass er den Wahnsinn nicht bemerkt zu haben schien, der sich ihrer ein paar Augenblicke lang ermächtigt hatte, und hoffte, dass er die dunklere Farbe nicht sehen konnte, die in ihren Wangen pochte.

Die Kajüte war groß, die Bänke mit Napa bezogen, einem weichen italienischen Leder. Um sie herum in den Wänden befanden sich mit offenen, royalblauen Vorhängen verzierte Fenster. Alle Armaturen waren aus verchromtem Messing. Venetia stellte fest, dass diese Yacht, anders als so viele andere, luxuriös war, ohne protzig zu wirken. Das überraschte sie nicht; Paolo kam ihr nicht vor wie ein Angeber.

„Dieser grappa schmeckt ganz anders als der, den ich sonst kenne“, sagte sie, nachdem sie einen Schluck des warmen, bernsteinfarbenen Getränks genommen hatte. „Ist grappa nicht normalerweise ein klarer Digestif mit deutlichen Kräuteraromen? Dieser hier ist fast golden und schmeckt nach …“ Venetia zögerte und nahm einen weiteren Schluck, „ …Lakritz und Vanille, stimmt das?“

Paolo pfiff anerkennend. „Du hast einen sehr feinen Gaumen, signorina, und du hast recht. Dies ist ein Reserve grappa von einem kleinen Weingut in der Nähe meiner Heimat in der Toskana. Jedes Jahr werden nur eintausend Flaschen für die private Nutzung der Familie und für den lokalen Konsum hergestellt. Also schmeckt er dir?“

„Er hat eine interessante Note, die zugegebenermaßen ziemlich abhängig machen könnte, aber ich fürchte, für mich ist er etwas zu hochprozentig.“

Paolo warf ihr ein charmantes Lächeln zu. „Wie ich sehe, fühlst du dich besser. Deine Wangen haben wieder etwas Farbe bekommen. Es war ein langer Marsch durch die Kälte.“ In einem Schluck trank er seinen grappa aus. „Möchtest du noch ein wenig?“

Jetzt, wo Venetia seine so dringend scheinende Einladung auf sein Boot angenommen hatte, war er eigenartig entspannt, dachte sie bei sich. Vielleicht war ihm der vorherige Zusammenstoß peinlich? Hatte sie seine augenscheinliche Aufmerksamkeit missverstanden?

„Nein danke – ich glaube, wir sollten losfahren“, sagte sie, als sie ihre Mauer wieder errichtet hatte. „Ich habe dich genug Zeit gekostet.“

„Non dirlo neanche per scherzo, nicht der Rede wert.“ Er schenkte sich ein zweites Glas ein und leerte es zu Venetias Überraschung mit gleicher Geschwindigkeit. „Möchtest du draußen sitzen oder im Warmen bleiben?“

„Ich bin gern im Freien, also bevorzuge ich alfresco.“

„Du sagtest neulich, dass der Eingang zu deinem Haus direkt am Kanal liegt. Ich kenne Dorsoduro gut, und es gibt nicht viele Gebäude mit direktem Zugang zum Wasser.“

„Meine Wohnung ist im Palazzo Mendicoli, ein paar Straßen entfernt von der San Nicolò di Mendicoli Kirche.“

„Sì, sì, so bene dov’è il palazzo Mendicoli é, ja, ich weiß genau, wo das ist. Ich verbringe viel Zeit im Dorsoduro. Er ist ein Ort der Künstler, Designer und Schriftsteller und außerdem einer der schönsten sestieri Venedigs“, sagte er mit sanfter Stimme, als er aufstand und sie abermals intensiv betrachtete, bevor er ihr eine Geste machte, ihm voraus an Deck zu gehen. Aus einem unerfindlichen Grund ertappte sie sich dabei, wie sie errötete und stieg hastig die Treppe hinauf, um ihre heißen Wangen abzukühlen.

Auf Deck setzte sich Venetia auf die U-förmige Bank mit blauweißen Leinenbezügen im Heck des Bootes. Schweigend beobachtete sie Paolos schlanke Gestalt, die mit sicheren Bewegungen die Seile losmachte und das Boot zum Ablegen vorbereitete. Ihr Blick wanderte zu seiner schmalen Hüfte, als er am Steuer stand, hochgewachsen und entspannt, jede Kontur seiner muskulösen Schenkel gut sichtbar in dem engen Harlekinkostüm. Erneut war sie fasziniert von seinem drahtigen, kräftigen Körper und seinen Schultern, die eindrucksvoll waren, ohne schwer zu wirken. Ihr fiel auf, dass Paolo sehr ähnlich gebaut war wie Judd und sie fragte sich, wie es wäre, mit ihm zu schlafen.

Die Wasser waren immer noch lebhaft vom Gelächter der Verkleideten, die in Gondeln an ihnen vorüberglitten, deren Ruder tanzende Strudel aus Licht hinterließen. Paolo navigierte sein Boot geschickt durch die schmalen Kanäle. Als sie den Canal Grande erreichten, beschleunigte er plötzlich und hauchte dem schönen Fahrzeug Leben ein, dessen Nase dadurch aus dem Wasser gehoben wurde, während es mit dröhnendem Motor vorwärtsschoss.

Mondlicht floss hell und klar aus der samtigen blauen Nacht in die Lagune, die die Stadt umgab, und aus allen Richtungen schwebte über das Wasser Musik heran. Das Herz Venedigs pulsierte noch mit Leben und Freude; die Feierlichkeiten würden vermutlich bis in die Morgenstunden andauern, die noch einige Zeit entfernt lagen.

Heute Nacht liegt ein Zauber in der Luft, dachte Venetia, als die Reihen der marmornen palazzi an ihnen vorbeizogen, deren schier maurische Fassaden in Fluten von silbernem Licht badeten. Noch nie hatte sie eine so bezaubernde Szenerie gesehen, obwohl sie diese Heimreise schon seit drei Jahren täglich absolvierte. Wieder fiel ihr Blick auf den Mann am Steuer, dessen Hände das große Gefährt aus Teak und Mahagoni mit kontrollierter Anspannung lenkten. Mit breiten Beinen stand Paolo an Deck, während sie den Kanal hinabschossen und sich auf beiden Seiten des schaukelnden Motorbootes weiße, von Schaumkronen bedeckte Wellen bildeten. Er hatte seinen Hut abgenommen und sein schwarzes Haar mit den vereinzelten grauen Strähnen erschien ihr jetzt länger als zuvor, als der Wind es um sein Gesicht wehte. Sein Mund und sein scharfes, kantiges Gesicht sahen streng und hart aus. Obwohl er völlige Unabhängigkeit ausstrahlte, trug er eine Aura der Einsamkeit um sich, die sie neugierig machte. Paolo war voller Widersprüche und plötzlich traf Venetia der Gedanke, dass dieser Fremde, zu dem sie sich so befremdlich hingezogen fühlte, vielleicht mehr war, als er schien, wie auch Venedig selbst. Sie schauderte.

Da sie nicht den Eindruck erwecken wollte, auf der Suche nach einer Unterhaltung zu sein, falls er sich umdrehte, konzentrierte Venetia sich auf die Szenerie. Das Motorboot hatte seine Geschwindigkeit erhöht und glitt mit einem lauten Zischen durch die Wellen. Der kalte, leichte Wind blies Gischt auf die Haut der jungen Frau und zupfte mit sanften Fingern an ihrem Haar.

Bald sah man den imposanten oströmischen companile und das elegante Portal der Kirche San Nicolò dei Mendicoli. Venetia stand auf und stellte sich neben Paolo. „Dort ist es“, sagte sie und zeigte auf das beeindruckende Gebäude.

Der Motor wurde ruhiger, als das Boot geschmeidig auf die barocke Tür des Palazzo Mendicoli zuglitt, dessen prunkvolle Marmorfassade auf beiden Seiten von eleganten Lampen beleuchtet war. Zwischen den großen, hölzernen Pfosten, die wie riesige Rohrkolben aus dem Wasser ragten, kam das Gefährt neben der Treppe des Palastes zum Stehen, und Paolo schaltete den Motor ab.

„Ich hoffe, du bist nicht nass geworden“, sagte er. „Wenn ich am Steuerrad stehe, vergesse ich mich manchmal; man hat mir schon oft gesagt, dass ich ein rücksichtsloser Fahrer bin.“

„Überhaupt nicht, ich habe die Fahrt genauso genossen wie den Rest des Abends. Danke, du warst wirklich sehr freundlich.“

In Paolos blauen Augen leuchtete ein verstecktes Lachen. Er streckte beiläufig die Hand aus und zog Venetia sanft an sich. „Also isst du heute Abend mit mir.“ Er sprach den Satz aus wie einen fait accompli, und hinter seiner Verspieltheit verbarg sich eine Intensität, die Venetia traf wie ein rasender Güterzug.

Erneut meldete sich diese seltsame Sinnlichkeit bei ihr zurück, der sie schon zum Opfer gefallen war, als Paolo sie aufgefangen hatte; eine physische Anziehungskraft, gegen die sie sich für immun gehalten hatte. Ihr Selbsterhaltungstrieb ließ sie erstarren, genauso wie seine Unverfrorenheit. „Normalerweise fragt man, statt zu befehlen. Wie dem auch sei, ich bin beschäftigt.“

Seine dunklen Gesichtszüge nahmen ein wölfisches Grinsen an. „Würde es helfen, wenn ich auf die Knie ginge?“

Venetia war ungewöhnlich verärgert. „Nein“, antwortete sie kühl und wich vor ihm zurück.

Sein Mund zuckte mit kaum versteckter Belustigung. „Morgen also.“

Er drängte sie; das würde sie sich nicht gefallen lassen. „Nein, nicht heute, nicht morgen und auch nicht am Tag danach“, gab sie mit fester Stimme zurück.

„Also bist du gebunden. Hast du einen Freund? Oder ist er schon dein fidanzato?“, erwiderte er finster.

Jetzt gab er ihr Grund, wütend zu werden. Wie konnte er es wagen, so persönlich zu werden? Bis jetzt hatte er einen zurückhaltenden, gesammelten Eindruck gemacht. Was war geschehen? Der Mann musste betrunken sein. Wenn sie darüber nachdachte, hatte er den ganzen Abend über ein Glas in der Hand gehalten, und dann waren da natürlich noch die grappe, die er heruntergestürzt hatte wie Wasser. Was, wenn er auf einmal einfach mit ihr davonfahren würde? Und obwohl sie ihre Gedanken ihm gegenüber nicht zeigte, steigerte sich Venetia willentlich hinein. Sie hatte das Gefühl, dass sie in eine Situation geriet, die sie nicht kontrollieren konnte, und ein beunruhigter Schauer lief ihr den Rücken hinunter.

In ihren Augen funkelte Wut. „Das geht dich nichts an.“

Ihre Entrüstung schien Paolo zu ernüchtern. Er biss sich auf die Unterlippe. „Ich bitte um Entschuldigung, signorina, wenn ich zu direkt war. Ich habe mich wohl in der Karnevalsstimmung verloren. Bitte verzeih mir.“

Sie streckte ihre Hand aus und zwang sich zu einem Lächeln. „Addio, signore, und danke noch einmal für die Freundlichkeit.“

Seine Gesichtszüge verhärteten sich, als er eine Mauer um sich errichtete, die ihrer eigenen so merkwürdig ähnelte. Seine Stimme klang gekappt. „Also heißt es für uns addio und nicht arrivederci.“

„Das befürchte ich“, flüsterte Venetia, während sie sich umdrehte und über die Plattform ging. Paolo war sofort neben ihr, als das Boot schaukelte, und sah sie mit fragenden Augen an, als ob er versuchte, ihre Gedanken zu lesen, während er ihr half, das Gleichgewicht zurückzugewinnen und den Kai zu betreten.

Seltsamerweise wollte sie jetzt nicht mehr so dringend weg, aber sie hatte die Brücke schon abgerissen und wahrscheinlich war es auch am besten so. Als Venetia in den palazzo trat, ohne sich umzudrehen, und hörte, wie der Motor angelassen wurde, konnte sie sich einen Blick über die Schulter nicht verkneifen. Einen Augenblick lang verspürte sie Reue, als sie LaSerenissima und ihrem Kapitän nachblickte, die in einer Wolke aus weißem Schaum verschwanden, aber dann besann sie sich wieder. Die Liebe hatte schon einmal einen jämmerlichen Idioten aus ihr gemacht. Ich habe keinerlei Absichten, das noch einmal durchzumachen, sagte sie sich in Gedanken immer wieder, während sie den Aufzug zum dritten Stock nahm.

* * *

Palazzo Mendicoli lag in der westlichen Hälfte des sestiere Dorsoduro, der südlichen Halbinsel Venedigs, in der Biegung eines kleinen Kanals. Der dreistöckige Palast mit seiner marmornen Fassade war im sechzehnten Jahrhundert erbaut und in den frühen Neunzigern restauriert worden, als man ihn in ein Wohnhaus mit mehreren Einheiten verwandelt hatte. Venetias Apartment befand sich im obersten Stockwerk. Da Dorsoduro höher lag als der Rest Venedigs, überblickte das Gebäude die Lagune im Süden, während man auf der anderen Seite nordöstlich über die Stadt bis zum Canal Grande sehen konnte. Der Großteil der Architektur innerhalb des Palastes sowie die Gemälde und Fresken in den Räumen waren noch intakt; man hatte nur den rückwärtigen Teil des Gebäudes renoviert, der bei einem Brand im neunzehnten Jahrhundert zerstört worden war.

Venetias Wohnung war geräumig und hatte hohe Decken, an denen lüsterne kleine Cherubs merkwürdig aussehende, geflügelte Tiere nachstellten. Die ersten fünf Jahre, nachdem sie zur Witwe geworden war, hatte ihre Patentante hier gelebt, bis sie Ugo Lombardi geheiratet hatte. Danach war sie in das Penthouse ihres neuen Ehemannes im Bella Vista im Stadtzentrum gezogen, das einst ein zerfallender palazzo gewesen war. Ugo hatte ihn gekauft und an seiner Stelle einen Block von Luxuswohnungen errichtet, wo das Paar unter der Woche wohnte. Die Wochenenden verbrachten sie im Lido, der langen Sandbank südlich von Venedig, wo Ugo Lombardi seiner Braut einen wunderschönen alten Palast gekauft hatte, von dem aus man einen Blick über die Lagune auf die mittelalterlichen Türme und ockerfarbenen Dächer der Stadt hatte.

Die Wände in Venetias Wohnung waren mit pastellfarbener Seide verkleidet und die schweren Brokatvorhänge an den Fenstern in dunkleren, aber passenden Tönen gehalten und mit dicken Kordeln der gleichen Farbe zurückgeschnürt. Jeder Raum war mit einem marmornen Kamin versehen, elegant verziert mit Szenen mythologischer Fauna und Flora. Die massiven Möbel befanden sich zwischen Barock und Rokoko, bequem und üppig, und ebenfalls verziert mit Motiven von Muscheln, Blumen und Sternen.

Venetia ließ sich in die Wolke der Kopfkissen auf ihrem Himmelbett fallen und beobachtete den Tanz der Lichter, die der Kanal in der Tiefe reflektierte und die einander über die weiße Fläche der Stuckdecke jagten. Die Mitte des Plafond war verziert mit einem bernsteinfarbenen lampadario aus Murano-Glas, der von einer Kette plumper, transparenter Glaskugeln hing. Lilien und Gänseblümchen, ihre zarte Blütenblätter geblasen aus honigfarbenem Opakglas, spähten an der Spitze des Kronleuchters durch ihre schmalen grünen Blätter; Friese, auf denen farbenfrohe Vögel und Schmetterlinge abgebildet waren, schmückten jede Ecke des Raumes und verliehen den blassen Wänden rege Lebhaftigkeit.

Die Bettpfosten waren in vanillefarbene, zur Bettwäsche passende Brokatvorhänge gehüllt. Am Fuß des Bettes stand eine riesige cassone – eine opulente, vergoldete und bemalte Truhe aus dem sechzehnten Jahrhundert, die seitdem im Besitz von Giovannas Familie war und geflügelte amorini darstellte, die kindlichen Cupidos, die, von mythischen Tieren in Kutschen gezogen, die römischen Götter repräsentierten. Damals war es üblich gewesen, diese prunkvollen Truhen in der Hochzeitssuite als Statussymbol der italienischen Aristokraten aufzustellen. Zwischen den beiden hohen, schmalen Fenstern ragte ein Kamin aus Carrara in den Raum, auf dem ein eindrucksvoller, vergoldeter Rokoko-Spiegel stand. Direkt gegenüber hing das Gemälde einer Flusslandschaft mit Reisenden von Francesco Zuccarelli; unter dem Bild ein Sofa und zwei gondelförmige bergère-Sessel aus Mahagoni, bezogen mit goldenem Seidenstoff, auf dem Lavendel und Bienen zu sehen waren. Auf der anderen Seite des Bettes befand sich eine ganze Wand von Einbauschränken, zusammengesetzt aus verschiedenen, geschmackvollen Armaturen und einer geheimen Tür zum Schlafzimmer, die dem luxuriösen Zimmer eine moderne Note gab.

Venetia konnte nicht schlafen. Zum ersten Mal, seit sie nach Venedig gezogen war, fand sie die Einsamkeit und Stille ihres Zimmers erdrückend. Geister der Vergangenheit suchten sie heim. Erinnerungen, die sie endlich aus ihrer Seele verbannt zu haben glaubte, die sie jahrelang mühevoll gelöscht hatte, kehrten wieder zurück. Judds attraktives, wohlgeformtes Gesicht schwebte vor ihren Augen … Judd Carter, der Mann, der sie verlassen hatte, als sie ihn am meisten brauchte.

Sie war erst achtzehn gewesen, als er in ihrem Leben aufgetaucht war. Vor über zehn Jahren waren sie sich bei einem Ball in London begegnet. Damals hatte Venetia gerade ihr Architekturstudium in Cambridge begonnen. Judd war achtundzwanzig gewesen, und obwohl er aus bescheidenem Elternhaus kam, war es ihm mithilfe von Stipendien gelungen, die königliche Militärakademie in Sandhurst zu besuchen und Offizier im Fallschirmregiment zu werden. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, und ein Jahr später hatte Judd ihr einen Antrag gemacht.

Sir William Aston-Montagu, Venetias Vater, hatte sich vehement gegen die Verlobung gewehrt und seiner Tochter verboten, die Beziehung weiterzuführen. Trotz der Tatsache, dass auch er früher dem Militär angehört hatte, war er ein anmaßender, traditioneller Mann, der von seiner Tochter erwartete, jemanden mit dem gleichen Hintergrund zu heiraten: „einen von uns“ war die Aussage gewesen, mit der er Venetia immer zur Weißglut gebracht hatte. Lorna, ihre Mutter, war zwar wohlwollend und warmherzig, stand aber unter dem Scheffel der überwältigenden Persönlichkeit ihres Mannes und hätte nicht im Traum gewagt, ihm zu widersprechen. Nichtsdestotrotz hatte das junge Paar sich weiterhin heimlich getroffen – zwar nicht oft, da Judd meistens bei Einsätzen in Nordirland war, aber sie hatten regen Schriftverkehr gehabt.

Und dann hatte Venetia eines Tages, als Judd in Irland war, herausgefunden, dass sie schwanger war. Sie war zu ihren Eltern gegangen und hatte ihnen gesagt, dass sie Judd Carter heiraten würde, ob es ihnen gefiel oder nicht, da sie sein Kind in sich trug. Doch allem Flehen seiner Frau zum Trotz war Sir William nicht von seinem Standpunkt gewichen und hatte gedroht, seine Tochter zu enterben, falls sie die Schwangerschaft nicht sofort abbrach. Selbst jetzt hallte die wütende Stimme ihres Vaters noch in Venetias Ohren:

„Dieser junge Mann ist ein sozialer Aufsteiger und Goldgräber. Er mag sich in Sandhurst eingeschlichen haben und auch in dein Bett, aber ganz sicher wird er kein Mitglied dieser Familie! Ich werde nicht zulassen, dass du unseren Namen beschmutzt, junge Dame. Entweder wirst du dieses Ding los, das du in dir trägst, oder du bist nicht mehr meine Tochter und wirst keinen Penny sehen, wenn ich tot bin.“

Venetia hatte Judd einen Brief geschrieben, um ihm die Neuigkeiten mitzuteilen, aber er hatte nie geantwortet. Auch auf alle ihre nachfolgenden Briefe, in denen sie ihn anflehte, sich bei ihr zu melden, hatte er nicht reagiert. Wäre er bei einem Einsatz ums Leben gekommen, hätte sie das sehr schnell herausgefunden, also blieb ihr selbst der morbideste Grund für sein Schweigen verwehrt. Sie war am Boden zerstört. Zur großen Bestürzung ihrer Eltern war sie dann ausgezogen und hatte bei ihrer besten Freundin Emma gewohnt. Obwohl sie noch keine zwanzig Jahre alt war, hatte sie beschlossen, das Kind zu behalten, zu geblendet von ihren Gefühlen, um auf ihre Vernunft zu hören. Drei Monate später war sie in einem Einkaufszentrum kopfüber die Treppe heruntergestürzt und hatte aufgrund ihrer Rückenverletzungen das Kind verloren. Sir William und Lorna waren im Krankenhaus zu ihr gekommen, um Frieden zu schließen, und Venetia war nach Hause zurückgekehrt.