Schelmuffskys warhafftige curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und Lande - Christian Reuter - ebook

Schelmuffskys warhafftige curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und Lande ebook

Christian Reuter

0,0

Opis

Schelmuffsky ist dem ältesten Sohn der Wirtin Anna Rosine Müller aus Leipzig entlehnt und Ich-Erzähler des gleichnamigen Romans in Form einer Reisebeschreibung. Die Germanistik ist sich nicht ganz schlüssig, ob es sich um einen Schelmenroman, einen Abenteuerroman oder um eine Münchhausiade handelt. Der Erzähler ist eine Art Kamera, die Eindrücke ungefiltert wiedergibt. Auf diese Weise charakterisiert er sich selbst, ohne sich dessen bewusst zu sein, indem er im Wesentlichen vom Fressen, Saufen und Sich-Übergeben berichtet. Gleichzeitig gibt er höfische Formen und Feste, Galanterie und die damals übliche maßlose Übertreibung in den vermehrt aufkommenden Reisebeschreibungen der Lächerlichkeit preis. Bestimmend für den Fortgang der Handlung sind die ""Rattenepisode"" und die ständige Wiederholung der Redewendungen ""der Tebel hohlmer"", ""ey sapperment"" und ""daß ich ein brav Kerl war und daß was grosses hinter mir stecken mußte"". Christian Reuter (1665 - ca. 1712) war ein deutscher Schriftsteller des Barock.

Ebooka przeczytasz w aplikacjach Legimi na:

Androidzie
iOS
czytnikach certyfikowanych
przez Legimi
czytnikach Kindle™
(dla wybranych pakietów)
Windows
10
Windows
Phone

Liczba stron: 214

Odsłuch ebooka (TTS) dostepny w abonamencie „ebooki+audiobooki bez limitu” w aplikacjach Legimi na:

Androidzie
iOS
Oceny
0,0
0
0
0
0
0



Christian Reuter

Schelmuffskys warhafftige curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und Lande

            Books
- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung [email protected]   2017 OK Publishing

Inhaltsverzeichnis

1. Theil
2. Theil

1. Theil

Inhaltsverzeichnis
Widmung
Hochgebohrner Potentate etc.!
An den Curiösen Leser
Das erste Capitel
Das andere Capitel
Das dritte Capitel
Das vierte Capitel
Das fünffte Capitel
Das sechste Capitel
Das siebende Capitel
Das achte Capitel

Widmung

Inhaltsverzeichnis

Dem Hoch-Gebohrnen Grossen Mogol den Aeltern weltberühmten Könige oder vielmehr Keyser in Indien zu Agra etc.

Hochgebohrner Potentate etc.!

Inhaltsverzeichnis

Ich wäre der Tebel hohl mer ein rechter undanckbarer Kerl, wenn ich nicht vor dieselbe Gutthat, welche ich vor diesen auf meiner sehr gefährlichen Reise gantzer 14 Tage lang von Eurer Hochgebohrnen Herrlichkeiten genossen, nicht solte bedacht seyn, wie ichs wieder gleich machen möchte. Nun hätte ich solches auch schon längst gethan, wenn ich nur wissen sollen, worinnen ich Eurer Hochgebohrnen Herrlichkeiten einen Gefallen erweisen können. Ich hatte zwar Anfangs willens, Eu. Gnaden und Liebsten ein Fäßgen gut Klebe-Bier aus unsern Landen mit dafür hinein zu schicken, allein so besorgte ich, daß es den weiten Weg dorthin matt und sauer werden möchte und daß Sie es hernach nicht würden sauffen können. Habe ichs also auch immer unterwegens gelassen!

Nachdem ich aber meine warhafftige, curiöse und sehr gefährliche Reise-Beschreibung zu Wasser und Lande unter der Banck herfür gesucht und an den Tag gegeben, so habe ich nicht umhin können (zumal weil mir wissend, daß Eu. Gnaden und Hochgebohrne Herrl. ein sonderlicher Liebhaber von curiösen Büchern und neuen Sachen seyn, ich auch dieselbe vor Geld und gute Wort ein Buch aus Teutschland nach Indien zu schicken versprochen), gedachte meine Curiöse und sehr gefährliche Reise-Beschreibung dieselbe zuzuschreiben und ein Exemplar in Schweins-Leder eingebunden mit hinzuschicken. Ich verlange der Tebel hohl mer nicht einen Dreyer dafür, obs gleich was Curiöses ist! Nur daß der Hochgebohrne Potentate sehen soll, daß ich dankbar bin und verhoffe, es wird Denselben gefallen. Viel Geprahle will ich zwar nicht davon machen, allein das Werck wird der Tebel holmer den Meister selber loben, und wenn Sie es durchgelesen haben, so bitte ich, daß Eu. Gnaden und Hochgebohrne Herrl. es Ihrer Liebste auch wollen lesen lassen, damit Sie doch auch siehet, was ich vor ein braver Kerl bin gewesen und wie mirs letzlich so unglücklich auf der Spanischen See gegangen. In übrigen gedencken Eu. Gnaden meiner in besten und leben wohl! Ich verbleibe dafür

Eu. Hochgebohrnen Herrl. wie auch Dessen Frau Liebste

allezeit

An den Curiösen Leser

Inhaltsverzeichnis

Ich bin der Tebel hohl mer ein rechter Bärenhäuter, daß ich meine warhafftige, curiöse und sehr gefährliche Reise-Beschreibung zu Wasser und Lande, welche ich schon eine geraume Zeit verfertiget gehabt, so lange unter der Banck stecken lassen und nicht längstens mit hervor gewischt bin. Warum? Es hat der Tebel hohlmer mancher kaum eine Stadt oder Land nennen hören, so setzt er sich stracks hin und macht eine Reise-Beschreibung zehen Ellen lang davon her! Wenn man denn nun solch Zeug lieset (zumahl wer nun brav gereiset ist als wie ich), so kan einer denn gleich sehen, daß er niemahls vor die Stuben-Thüre gekommen ist, geschweige, daß er fremden und garstigen Wind sich solte haben lassen unter die Nase gehen, als wie ich gethan habe. Ich kan es wohl gestehen, ob ich gleich so viel Jahr in Schweden, so viel Jahr in Holland, so viel Jahr in Engelland, auch 14 gantzer Tage in Indien bey den grossen Mogol und sonst fast in der gantzen Welt weit und breit herum gewesen und so viel gesehen, erfahren und ausgestanden, daß wenn ich solches alles erzehlen solte, einen die Ohren davon weh thun solten. Ich habe aber Zeitlebens kein Geprahle oder Aufschneidens davon hergemacht – es wäre denn, daß ichs bisweilen guten Freunden auf der Bier-Banck erzehlet hätte. Damit aber nun alle Welt hören und erfahren soll, daß ich nicht stets hinter den Ofen gesessen und meiner Frau Mutter die gebratenen Aepffel aus der Röhre genascht, so will ich doch nur auch von meiner manchmal sehr gefährlichen Reise und Ritterlichen Thaten zu Wasser und Lande, wie auch von meiner Gefangenschafft zu Sanct Malo eine solche Beschreibung an das Tagelicht geben, deßgleichen noch niemals in öffentlichen Druck soll seyn gefunden worden, und werden sich die jenigen solche vortrefflich zu Nutze machen können, welche mit der Zeit Lust haben, frembde Länder zu besehen. Solte ich aber wissen, daß dasselbe, welches ich mit grosser Mühe und Fleiß aufgezeichnet, nicht von iederman geglaubet werden solle, wäre mirs der Tebel hohl mer höchst leid, daß ich einige Feder damit verderbet; ich hoffe aber, der Curiöse Leser wird nicht abergläubisch seyn und diese meine sehr gefährliche Reise-Beschreibung vor eine blosse Aufschneiderey und Lügen halten, da doch beym Sapperment alles wahr ist und der Tebel hohl mer nicht ein eintziges Wort erlogen.

In übrigen werde ich gerne hören, wenn man sagen wird: Dergleichen Reise-Beschreibung habe ich Zeitlebens nicht gelesen; wird solches geschehen, so sey ein iedweder versichert, daß ich nicht allein mit der Zeit den andern Theil meiner warhafftigen Curiösen und sehr gefährlichen Reise-Beschreibung zu Wasser und Lande, von den Orientalischen Ländern und Städten, wie auch von Italien und Pohlen unter der Banck herfür suchen will, sondern ich werde mich auch Lebenslang nennen

des Curiösen Lesers allezeit Reisefertigster

Das erste Capitel

Inhaltsverzeichnis

Teutschland ist mein Vaterland, in Schelmerode bin ich gebohren, zu Sanct Malo habe ich ein gantz halb Jahr gefangen gelegen, und in Holland und Engelland bin ich auch gewesen. Damit ich aber diese meine sehr gefährliche Reise-Beschreibung fein ordentlich einrichte, so muß ich wohl von meiner wunderlichen Geburth den Anfang machen:

Als die grosse Ratte, welche meiner Frau Mutter ein gantz neu seiden Kleid zerfressen, mit den Besen nicht hatte können todt geschlagen werden, indem sie meiner Schwester zwischen die Beine durchläufft und unversehens in ein Loch kömmt, fällt die ehrliche Frau deßwegen aus Eyfer in eine solche Kranckheit und Ohnmacht, daß sie gantzer 24 Tage da liegt und kan sich der Tebel hohl mer weder regen noch wenden. Ich, der ich dazumal die Welt noch niemals geschauet und nach Adam Riesens Rechen-Buche 4 gantzer Monat noch im Verborgenen hätte pausiren sollen, war dermassen auch auf die sappermentsche Ratte so thöricht, daß ich mich aus Ungedult nicht länger zu bergen vermochte, sondern sahe, wo der Zimmermann das Loch gelassen hatte und kam auf allen vieren sporenstreichs in die Welt gekrochen.

Wie ich nun auf der Welt war, lag ich 8 gantzer Tage unten zu meiner Frau Mutter Füssen im Bettstroh, ehe ich mich einmal recht besinnen kunte, wo ich war. Den 9ten Tag so erblickte ich mit grosser Verwunderung die Welt. O sapperment! wie kam mir alles so wüste da vor! Sehr malade war ich, nichts hatte ich auf den Leibe. Meine Fr. Mutter hatte alle Viere von sich gestreckt und lag da, als wenn sie vor den Kopff geschlagen wäre. Schreyen wolte ich auch nicht, weil ich wie ein jung Ferckelgen da lag und wolte mich niemand sehen lassen, weil ich nackend war, daß ich also nicht wuste, was ich anfangen solte. Ich hatte auch willens, wieder in das Verborgene zu wandern, so kunte ich aber der Tebel hohl mer den Weg nicht wieder finden, wo ich hergekommen war. Endlich dachte ich, du must doch sehen, wie du deine Frau Mutter ermunterst, und versuchte es auf allerley Art und Weise. Bald kriegte ich sie bey der Nase, bald krabbelte ich ihr unten an den Fußsohlen, bald machte ich ihr einen Klapperstorch, bald zupffte ich ihr hier und da ein Härgen aus, bald schlug ich sie aufs Nolleputzgen. Sie wolte aber davon nicht aufwachen; letzlich nahm ich einen Strohhalm und kützelte sie damit in den lincken Nasen-Loche, wovon sie eiligst auffuhr und schrie: »Eine Ratte! eine Ratte!« Da ich nun von ihr das Wort Ratte nennen hörete, war es der Tebel hohl mer nicht anders, als wenn iemand ein Scheermesser nehm und führe mir damit unter meiner Zunge weg, daß ich hierauf alsobald ein erschreckliches Auweh! an zu reden fing. Hatte meine Frau Mutter nun zuvor nicht »Eine Ratte! Eine Ratte!« geschrien, so schrie sie hernachmals wohl über hundert mal »Eine Ratte! Eine Ratte!«, denn sie meinte nicht anders, es nistelte eine Ratte bey ihr unten zu ihren Füssen. Ich war aber her und kroch sehr artig an meine Frau Mutter hinauf, guckte bey ihr oben zum Decke-Bette heraus und sagte: »Frau Mutter, Sie fürchte sich nur nicht! Ich bin keine Ratte, sondern ihr lieber Sohn; daß ich aber so frühzeitig bin auf die Welt gekommen, hat solches eine Ratte verursachet.« Als dieses meine Frau Mutter hörete, Ey sapperment! wie war sie froh, daß ich so unvermuthet war auf die Welt gekommen, daß sie gantz nichts davon gewust hatte. Wie sie mich dasselbe mal zu hertzte und zu leckte, das will ich der Tebel hohl mer wohl keinen Menschen sagen.

Indem sie sich nun so mit mir eine gute Weile in ihren Armen gehätschelt hatte, stund sie mit mir auf, zog mir ein weiß Hembde an und ruffte die Mieth-Leute in gantzen Hauße zusammen, welche mich alle mit einander höchst verwundernd ansahen und wusten nicht, was sie aus mir machen solten, weil ich schon so artig schwatzen kunte. Herr Gerge, meiner Frau Mutter damaliger Praeceptor, meinte, ich wäre gar von den bösen Geiste besessen, denn sonst könte es unmöglich von rechten Dingen mit mir zugehen, und er wolte denselben bald von mir austreiben! Lieff hierauf eiligst in seine Studier-Stube und brachte ein groß Buch unter den Arme geschleppt, damit wolte er den bösen Geist nun von mir treiben. Er machte in die Stube einen grossen Kreiß mit Kreide, schrieb ein hauffen Cauder-Welsche Buchstaben hinein und machte hinter und vor sich ein Creutze, trat hernachmals in den Kreiß hinein und fing folgendes an zu reden:

Hocus pocus Schwartz und Weiß Fahre stracks auf mein Geheiß Schuri muri aus den Knaben; Weils Herr Gerge so will haben.

Wie Herr Gerge diese Wort gesprochen hatte, fing ich zu ihn an und sagte: »Mein lieber Herr Praeceptor, warum nehmet ihr doch solche Köckel-Possen vor und vermeinet, ich sey von dem bösen Geiste besessen! Wenn ihr aber wissen soltet, was die Ursache wäre, daß ich flugs habe reden lernen und weswegen ich so frühzeitig bin auf die Welt gekommen, ihr würdet wol solche närrische Händel mit euren Hocus pocus nicht vorgenommen haben.« Als sie mich dieses nun so reden höreten, o sapperment! was erweckte es vor Verwunderung von den Leuten im Hauße! Hr. Gerge stund der Tebel hohl mer da in seinen Kreiße mit Zittern und Beben, daß auch die um ihn Herumstehenden alle aus der Lufft muthmassen kunten, der Herr Praeceptor müste wol in keinen Rosen-Garten stehen.

Ich kunte aber seinen erbärmlichen Zustand nicht länger mit ansehen, sondern fing da an, meine wunderliche Geburth zu erzehlen und wie es niemand anders als die jenige Ratte verursachet hätte, welche das seidene Kleid zerfressen, daß ich so frühzeitig auf die Welt gekommen wäre und flugs reden können.

Nachdem ich nun mit vielen Umständen denen sämtlichen Hausgenossen die gantze Begebenheit von der Ratte erzehlet hatte, so glaubten sie hernach allererste daß ich meiner Fr. Mutter ihr Sohn wäre. Hr. Gerge aber, der schämte sich wie ein Hund, daß er meinetwegen solche Narren-Possen vorgenommen hatte und vermeinet: Ein böser Geist müste aus mir reden. Er war her, leschte seinen Hocus Pocus-Kreiß wieder aus, nahm sein Buch und gieng mit feuchten und übelriechenden Hosen stillschweigend immer zur Stuben-Thüre hinaus. Wie auch die Leute hernach alle mit mir thaten und mich zu hertzten und zu poßten, weil ich so ein schöner Junge war und mit ihnen flugs schwatzen kunte, das wäre der Tebel hohl mer auf keine Kühhaut zu schreiben. Ja, sie machten auch alle mit einander flugs Anstalt, daß mir selben Tag noch bey grosser Menge Volcks der vortreffliche Nahme Schelmuffsky beygeleget wurde.

Den zehenden Tag nach meiner wunderlichen Geburt lernete ich allmählig, wiewol etwas langsam, an den Bäncken gehen, denn ich war gantz malade, weil ich auf der Welt gar noch nichts weder gefressen noch gesoffen hatte. Denn der Fr. Mutter Pietz war mir zu eckel und keine andere Speisen kunte ich noch nicht gewohnen, daß ich also, wenn sichs nicht so geschickt hätte, wohl verhungern und verdursten müssen.

Was trug sich zu? Meine Fr. Mutter, die hatte gleich selben Tag ein groß Faß voll Ziegen-Molcken auf der Ofen-Banck stehen, über dasselbe gerathe ich so ohngefehr und titsche mit den Finger hinein und koste es; weil mir das Zeug nun sehr wohl schmeckte, kriegte ich das gantze Faß bey den Leibe und soffs der Tebel hohl mer halb aus. Wovon ich hernach gantz lebend wurde und zu Kräfften kam. Als meine Frau Mutter sahe, daß mir das Ziegen-Molcken so wol bekam, war sie her und kauffte hernach noch eine Ziege, denn eine hatte sie schon. Die musten mich also bis in das zwölffte Jahr meines Alters mit lauter solchen Zeuge ernehren und auferziehen. Ich kans wol sagen, daß ich denselben Tag, als ich gleich 12 Jahr alt war, der Tebel hohl mer Speck Ellen dicke auf meinen Rücken hatt, so fett war ich von dem Ziegen-Molcken geworden. Bey Anfange des 13. Jahres lernete ich auch alle sachte die gebratene Krams-Vögelgen und die jungen gespickten Hünergen abknaupeln, welche mir endlich auch sehr wol bekamen.

Da ich nun so ein Bißgen besser zu Jahren kam, so schickte mich meine Frau Mutter in die Schule und vermeinte nun, einen Kerl aus mir zu machen, der mit der Zeit alle Leute an Gelehrsamkeit übertreffen würde; ja, es wäre dazumal wol endlich was aus mir geworden, wenn ich hätte Lust was zu lernen gehabt, denn so klug als ich in die Schule gieng, so klug kam ich auch wieder heraus! Meine grösste Lust hatte ich an den Blase-Rohre, welches mir meine Fr. Groß-Mutter zum Jahrmarckte von der Eselswiese mitgebracht hatte. So bald ich denn aus der Schule kam, so schmiß ich meine Büchergen unter die Banck und nahm mein Blase-Rohr, lief damit auf den obersten Boden und schoß da entweder die Leute auf der Gasse mit auf die Köpffe oder nach den Spatzianern, oder knapste denen Leuten in der Nachbarschafft die schönen Spiegelscheiben entzwey, und wenn sie denn so klirrten, kunte ich mich recht hertzlich drüber zu lachen. Das trieb ich nun so einen Tag und alle Tage, ich hatte auch so gewiß mit meinen Blase-Rohr schiessen gelernet, daß ich einem Sperlinge, wenn er gleich 300 Schritte von mir saß, damit das Lebens-Licht ausblasen kunte. Ich machte das Rabenzeug so schüchtern, wenn sie nur meinen Namen nennen höreten, so wusten sie schon, wie viel es geschlagen hatte!

Als nun meine Fr. Mutter sahe, daß mir das Studiren gantz nicht zu Halse wolte und nur das Schulgeld vor die lange Weile hingeben muste, nahm sie mich aus der Schule wieder heraus und that mich zu einem vornehmen Kauffmann, da solte ich ein berühmter Handelsmann werden. Ja, ich hätte es wol werden können, wenn ich auch Lust darzu gehabt hätte, denn an statt da ich solte die Nummern an den Wahren mercken und wie teur die Elle müste mit Profit verkauftet werden, so hatte ich immer andere Schelmstücken in Gedancken und wenn mich mein Patron wohin schickte, daß ich geschwinde wiederkommen solte, so nahm ich allemal erstlich mein Blaserohr mit, ging eine Gasse auf, die andere wieder nieder, u. sahe wo Sperlinge sassen! Oder wenn wo schöne grosse Scheiben in Fenstern waren und es sahe niemand heraus, so knapste ich nach denselben und lief hernach immer meiner Wege wieder fort. Kam ich denn wieder zu meinem Herrn und war etwan ein paar Stunden über der Zeit aussen gewesen, so wuste ich allemal so eine artige Lügente ihn vorzubringen, daß er mir sein lebetage nichts sagte. Zuletzt versahe ichs aber dennoch auch bey ihn, daß es nicht viel fehlete, so hätte er mir mein Blase-Rohr auf den Buckel entzwey geschmissen! Ich aber merckte den Braten und gab mit meinen Blase-Rohre reißaus und soll nun noch wieder zu ihn kommen. Hernach so schickte er zu meiner Fr. Mutter und ließ ihr sagen, wie daß ich ihn allen Unfug mit meinem Blase-Rohre bey den Leuten angerichtet hätte und mich gantz zur Handlung nicht schicken wolte. Meine Frau Mutter ließ den Kauffmann aber wieder sagen: Es wäre schon gut und sie wolte mich nicht wieder zu ihm thun, weil ich indem schon von ihn weggelauffen und wieder bey ihr wäre. Vielleicht krigte ich zu sonst was bessers Lust.

Das war nun wieder Wasser auf meine Mühle, als meine Fr. Mutter den Kauffmann solches zur Antwort sagen ließ und hatte ich zuvor die Leute auf der Gassen und die schönen Spiegelscheiben in den Fenstern nicht geschoren, so fupte ich sie hernach allererste, wie ich wieder meinen freyen Willen hatte!

Endlich, da meine Fr. Mutter sahe, daß immer Klage über mich kam und etlichen Leuten die Fenster muste wieder machen lassen, fing sie zu mir an: »Lieber Sohn Schelmuffsky, du kömmst nun alle sachte zu bessern Verstande und wirst auch fein groß dabey! Sage nur, was ich noch mit dir anfangen soll, weil du gantz und gar keine Lust zu nirgends zu hast und nur einen Tag und alle Tage nichts anders thust, als daß du mir die Leute in der Nachbarschafft mit deinen Blase-Rohre zum Feinde machst u. mich in Ungelegenheit bringest?« Ich antwortete aber meiner Fr. Mutter hierauf wieder und sagte: »Fr. Mutter, weiß sie was? ich will her seyn und fremde Länder und Städte besehen! Vielleicht werde ich durch mein Reisen ein berühmter Kerl, daß hernach, wenn ich wiederkomme, iedweder den Hut vor mir muß unter den Arm nehmen, wenn er mit mir reden will!« Meine Frau Mutter ließ sich diesen Vorschlag gefallen und meinte, wenn ichs so weit bringen könte, solte ich mich immer in der Welt umsehen – sie wolte mir schon ein Stück Geld mit auf den Weg geben, daß ich eine Weile daran zu zehren hätte. Hierauf war ich her, suchte zusammen, was ich mitnehmen wolte, wickelte alles zusammen in ein Zwilchen Schnuptuch, stackte es in die Ficke und machte mich reisefertig. Doch hätte ich mein Blase-Rohr auch gerne mitgenommen, allein so wuste ichs nicht mit fortzubringen und besorgte, es möchte mir unterwegens gestohlen oder genommen werden. Ließ also dasselbe zu Hausse und versteckte es auf den obersten Boden hinter die Feuer-Mäuer und trat in den 24. Jahre meines Alters meine sehr gefährliche Reise an. Was ich nun in der Fremde zu Wasser und Lande überall gesehen, gehöret, erfahren und ausgestanden, das wird in folgenden Capiteln mit höchster Verwunderung zu vernehmen seyn.

Das andere Capitel

Inhaltsverzeichnis

Der Guckguck fing gleich denselben Tag das erste mal im Jahre an zu ruffen, als ich in Schelmerode von meiner Fr. Mutter Abschied nahm, ihr um den Halß fiel, sie auf jedweden Backen zu guter letzte 3mal hertzte und hernach immer zum Thore hinaus wanderte.

Wie ich nun vor das Thor kam, o sapperment! wie kam mir alles so weitläufftig in der Welt vor! Da wuste ich nun der Tebel hohlmer nicht, ob ich gegen Abend oder gegen der Sonnen Niedergang zu marchiren sollte; hatte wol 10 mal in Willens, wieder umzukehren und bey meiner Frau Mutter zu bleiben, wenn ich solches nicht so lästerlich verschworen gehabt, nicht eher wieder zu ihr zu kommen, bis daß ich ein brav Kerl geworden wäre. Doch hätte ich mich endlich auch nicht groß an das Verschweren gekehret, weil ich sonst wohl eher was verschworen und es nicht gehalten hatte, sondern würde unfehlbar wieder zu meiner Fr. Mutter gewandert seyn, wann nicht ein Graf auf einen Schellen-Schlitten wäre qver Feld ein nach mir zu gefahren kommen und mich gefraget: wie ich so da in Gedancken stünde? Worauf ich den Grafen aber zur Antwort gab: Ich wäre willens die Welt zu besehen, und es käme mir alles so weitläufftig vor und wüste nicht, wo ich zugehen solte. Der Graf fing hierauf zu mir an und sagte: Msr., es siehet ihn was rechts aus seinen Augen u. weil er Willens ist, die Welt zu besehen, so setze er sich zu mir auf meinen Schellen-Schlitten und fahre mit mir, denn ich fahre deßwegen auch in der Welt nur herum, daß ich sehen will, was hier und da passiret. So bald der Hr. Graf dieses gesagt, sprang ich mit gleichen Beinen in seinen Schellen-Schlitten hinein und stackte die rechte Hand forne in die Hosen u. die lincke Hand in den rechten Schubesack, daß mich nicht frieren solte, denn der Wind ging sehr kalt und hatte selbige Nacht Ellen dicke Eiß gefroren. Doch war es noch gut, daß der Wind uns hinten nach ging, so kunte er mich nicht so treffen, denn der Hr. Graf hielt ihn auch etwas auf. Der saß hinten auf der Pritsche und kutschte.

Damit so fuhren wir immer in die Welt hinein und gegen Mittag zu. Unterwegens erzehleten wir einander unser Herkommens; der Herr Graf machte nun den Anfang und erzehlete seinen Gräfl. Stand und daß er aus einen uhralten Geschlechte herstammete, welches 32 Ahnen hätte und sagte mir auch, in welchen Dorffe seine Grosse-Mutter begraben läge; ich habe es aber wieder vergessen. Hernach so schwatzte er mir auch, wie daß er – als noch ein kleiner Junge von 16 Jahren gewesen wäre – seine Lust und Freude an den Vogelstellen immer gehabt hätte und einsmals auf einmal zugleich 31 Pumpel-Meisen in einen Sprenckel gefangen, welche er sich in Butter braten lassen und ihn so vortrefflich wohl bekommen wären.

Nachdem er nun seinen Lebens-Lauff von Anfang bis zum Ende erzehlet hatte, so fing ich hernach von meiner wunderlichen Geburth an zu schwatzen und wie es mit der Ratte wäre zugegangen, da sie meiner Fr. Mutter ein gantz neu seiden Kleid zerfressen gehabt und meiner Schwester zwischen die Beine durchgelauffen wäre und unversehens in ein Loch gekommen, da sie hätte sollen todt geschlagen werden; wie auch von meinen Blase-Rohre, mit welchen ich so gewiß schiessen können. O sapperment! wie sperrete der Herr Graf Maul und Nasen drüber auf, als ich ihn solche Dinge erzehlete und meinte, daß noch was rechts auf der Welt aus mir werden würde.

Nach solcher Erzehlung kamen wir an ein Wirths-Haus, welches flugs an der Strasse im freyen Felde lag, daselbst stiegen wir ab und giengen hinein, uns ein wenig da auszuwärmen. So bald als wir in die Stube kamen, ließ sich der Herr Graf ein groß Glaß geben, in welches wol hier zu Lande auf 18 bis 20 Maaß ging; dasselbe ließ er sich von den Wirthe voll Brantewein schencken und brachte mirs da auf Du und Du zu. Nun hätte ich nicht vermeinet, daß der Graf das Glaß voll Brantewein alle auf einmal aussauffen würde! Allein er soffs der Tebel hohl mer auf einen Soff ohne absetzen und Barth wischen reine aus, daß sich auch der Wirth grausam drüber verwunderte. Hernach so ließ ers wieder eben so voll schencken und sagte zu mir: Nun allons, Herr Bruder Schelmuffsky! Ein Hundsfott der mirs nicht auch Bescheid thut! Sapperment! Das Ding verdroß mich, daß der Graff mit solchen Worten flugs um sich schmiß und fieng gleich zu Ihm an: Tob Herr Bruder! Ich wils Bescheid thun. Als ich dieses Ihn zur Antwort gab, fieng der Wirth höhnisch zu den Grafen an zu lächeln und meinte, ich würde es unmöglich können Bescheid thun, weil der Herr Graff ein dicker corpulenter Herre und ich gegen Ihn nur ein Auffschüßling wäre und in meinen Magen das Glaß voll Brantewein wohl schwerlich gehen würde. Ich war aber her und satzte mit dem Glase voll Brantewein an und soff es der Tebel hohl mer flugs auff einen Schluck aus. O Sapperment! was sperrete der Wirth vor ein paar Augen auff und sagte heimlich zum Grafen, daß was rechts hinter mir stecken müste! Der Graff aber klopfte mich hierauf gleich auff meine Achseln und sagte: Herr Bruder, verzeihe mir, daß ich dich zum Trincken genöthiget habe! Es soll hinfort nicht mehr geschehen. Ich sehe nun schon, was an dir zuthun ist und daß deines gleichen von Conduite wohl schwerlich wird in der Welt gefunden werden. Ich antwortete den Herrn Bruder Grafen hierauf sehr artig wieder und sagte, wie daß ich warlich ein brav Kerl wäre und noch erstlich zu was rechts werden würde, wenn ich weiter in die Welt hinein kommen solte. Und wenn Er mein Bruder und Freund bleiben wolte, solte Er mich künfftig mit dergleichen Dingen verschonen. O Sapperment! wie demüthigte sich der Grafe gegen mich und bath mirs auf seine gebogenen Knien ab und sagte, dergleichen Excesse solten künftig nicht mehr von Ihm geschehen. Hierauf bezahlten wir den Wirth, satzten uns wieder auf unsern Schellen Schlitten und fuhren immer weiter in die Welt hinein.