Der arme Mann im Tockenburg - Ulrich Bräker - ebook

Der arme Mann im Tockenburg ebook

Ulrich Bräker

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Opis

Die Lebensgeschichte und Natürliche Ebenteuer des Armen Mannes im Tockenburg ist die Autobiographie Bräkers. Sie wird als sein Hauptwerk angesehen. Die Bedeutung von Bräker liegt vor allem darin, dass mit ihm jemand aus einer Volksschicht zu Wort kommt, von der es sonst keine eigenen Aufzeichnungen aus dieser Zeit gibt. Ulrich Bräker, genannt Der arme Mann aus dem Toggenburg auch Näppis-Ueli, (1735/1798) war ein Schweizer Schriftsteller. In seiner Jugend war er Bauernknecht und Salpetersieder. Zu Beginn des Siebenjährigen Krieges warb ihn 1756 ein preussischer Werbeoffizier mit List und Tücke als gemeinen Soldaten für das "Regiment Itzenplitz zu Fuß" an. Desillusioniert vom Ergebnis seines Aufbruchs in die Fremde desertierte Bräker noch im selben Jahr während der Schlacht bei Lobositz in Böhmen und kehrte nach Hause zurück. Er heiratete und hatte mehrere Kinder, von denen einige bereits im Kindesalter starben. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Baumwollfergger. Durch Lesen konnte er seinen Horizont erweitern, und er begann Tagebuchaufzeichnungen zu machen. Entdeckt wurde er von Johann Ludwig Ambühl, dem Wattwiler Schulmeister. Bräker veröffentlichte in Ambühls "Brieftasche aus den Alpen" erste Texte. Dank der Bekanntschaft mit Hans Heinrich Füssli, Zürich, konnte er diese dann veröffentlichen. Er las auch Werke Shakespeares und verfasste Kommentare zu diesen.

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Ulrich Bräker

Der arme Mann im Tockenburg

Books

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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1570-6

Inhaltsverzeichnis

Vorrede des Verfassers.
I. Meine Voreltern.
II. Mein Geburthstag. (22. Dezembr. 1735.)
III. Mein fernstes Denken. (1738.)
IV. Zeitumstände.
V. Schon in Gefahr. (1739.)
VI. Unsre Nachbauern im Näbis.
VII. Wanderung in das Dreyschlatt. (1741.)
VIII. Oekonomische Einrichtung.
IX. Abänderungen.
X. Nächste Folgen von des Großvaters Tod
XI. Allerley, wie’s so kömmt.
XII. Die Bubenjahre.
XIII. Beschreibung unsers Guts Dreyschlatt
XIV. Der Geißbube.
XV. Wohin, und wie lang.
XVI. Vergnügen im Hirtenstand.
XVII. Verdruß und Ungemach.
XVIII. Neue Lebensgefahren.
XIX. Kameradschaft.
XX. Neue sonderbare Gemüthslage, und End des Hirtenstands.
XXI. Neue Geschäfte, neue Sorgen. (1747.)
XXII. O der unseligen Wißbegierde.
XXIII. Unterweisung. (1752.)
XXIV. Neue Cameradschaft
XXV. Damalige häusliche Umstände.
XXVI. Wanderung auf die Staig zu Wattweil. (1754.)
XXVII. Göttliche Heimsuchung.
XXVIII. Jetzt Taglöhner.
XXIX. Wie? Schon Grillen im Kopf.
XXX. So geht’s.
XXXI. Immer noch Liebesgeschichten. Doch auch anders mitunter.
XXXII. Nur noch dießmal. (1755.)
XXXIII. Es geht auf Reisen.
XXXIV. Abschied vom Vaterland.
XXXV. Itzt noch vom Schätzle.
XXXVI. Es geht langsam weiters.
XXXVII. Ein nagelneues Quartier.
XXXVIII. Ein unerwarteter Besuch.
XXXIX. Was weiters.
XL. O die Mütter, die Mütter.
XLI. Hin und her, her und hin.
XLII. Noch mehr dergleichen Zeug.
XLIII. Noch einmal, und dann: Adieu Rothweil! Adieu auf ewig!
XLIV. Reise nach Berlin.
XLV. ‘s giebt ander Wetter!
XLVI. So bin ich denn wirklich Soldat?
XLVII. Nun geht der Tanz an.
XLVIII. Nebst anderm meine Beschreibung von Berlin
XLIX. Nun geht’s bald weiters
L. Behüte Gott Berlin! – Wir sehen einander nicht mehr.
LI. Marschroute bis Pirna.
LII. Muth und Unmuth.
LIII. Das Lager zu Pirna.
LIV. Einnahme des Sächsischen Lagers u.s.f.
LV. Die Schlacht bey Lowositz (1. Oktobr. 1756.)
LVI. Das heißt – wo nicht mit Ehren gefochten – doch glücklich entronnen
LVII. Heim! Heim! Nichts als Heim!
LVIII. O des geliebten süssen Vaterlands!
LIX. Und nun, was anfangen.
LX. Heurathsgedanken. (1758.)
LXI. Jetzt wird’s wohl Ernst gelten.
LXII. Wohnungsplane. 1760.
LXIII. Das aller wichtigste Jahr. (1761.)
LXIV. Tod und Leben.
LXV. Wieder drey Jahre. (1763. – 1765.)
LXVI. Zwey Jahre. (1766. u. 1767.)
LXVII. Und abermals zwey Jahre (1768. u. 1769.)
LXVIII. Mein erstes Hungerjahr (1770).
LXIX. Und abermals zwey Jahre! (1771. u. 1772.)
LXX. Nun gar fünf Jahre. (1773. – 1777.)
LXXI: Das Saamenkorn meiner Authorschaft.
LXXII. Und da.
LXXIII. Freylich manche harte Versuchung
LXXIV. Wohlehrwürdiger, Hoch-und Wohlgelehrter Herr Pfarrer Johann Caspar Lavater!
LXXV. Dießmal vier Jahre. (1778 – 1781.)
LXXVI. Wieder vier Jahre. 1782. – 1785.
LXXVII. Und nun, was weiters?
LXXVIII Also?
LXXIX. Meine Geständnisse.
LXXX. Von meiner gegenwärtigen Gemüthslage. Item von meinen Kindern.
LXXXI. Glücksumstände und Wohnort.

Vorrede des Verfassers.

Inhaltsverzeichnis

Obschon ich die Vorreden sonst hasse, muß ich doch ein Wörtchen zum voraus sagen, ehe ich diese Blätter, weiß noch selbst nicht mit was vor Zeug überschmiere. Was mich dazu bewogen? Eitelkeit? – Freylich! – Einmal ist die Schreibsucht da. Ich möchte aus meinen Papieren, von denen ich viele mit Eckel ansehe, einen Auszug machen. Ich möchte meine Lebenstage durchwandern, und das Merkwürdigste in dieser Erzählung aufbehalten. Ist’s Hochmuth, Eigenliebe? Freylich! Und doch müßt’ ich mich sehr mißkennen, wenn ich nicht auch andere Gründe hätte. Erstlich das Lob meines guten Gottes, meines liebreichen Schöpfers, meines besten Vaters, dessen Kind und Geschöpf ich eben so wohl bin als Salomon und Alexander. Zweytens meiner Kinder wegen. Ich hätte schon oft weiß nicht was darum gegeben, wenn ich so eine Historie meines sel. Vaters, eine Geschichte seines Herzens und seines Lebens gehabt hätte. Nun, vielleicht kann’s meinen Kindern auch so gehen, und dieses Büchlein ihnen so viel nutzen, als wenn ich die wenige daran verwandte Zeit mit meiner gewohnten Arbeit zugebracht hätte. Und wenn auch nicht, so macht’s doch mir eine unschuldige Freude, und ausserordentliche Lust, so wieder einmal mein Leben zu durchgehen. Nicht daß ich denke, daß mein Schicksal für andre etwas seltenes und wunderbares enthalte, oder ich gar ein besondrer Liebling des Himmels sey. Doch wenn ich auch das glaubte – wär’s Sünde? Ich denke wieder Nein! Mir ist freylich meine Geschichte sonderbar genug; und vortrefflich zufrieden bin ich, wie mich die ewig weise Vorsehung bis auf diese Stunde zu leiten für gut fand. Mit welcher Wonne kehr’ ich besonders in die Tage meiner Jugend zurück, und betrachte jeden Schritt, den ich damals und seither in der Welt gethan. Freylich, wo ich stolperte – bey meinen mannigfachen Vergehungen – o da schauert’s mir – und vielleicht nur allzugeschwind werd’ ich über diese wegeilen. Doch, wem wurd’s frommen, wenn ich alle meine Schulden herzählen wollte – da ich hoffe, mein barmherziger Vater und mein göttlicher Erlöser haben sie, meiner ernstlichen Reue wegen, huldreich durchgestrichen. O mein Herz brennt schon zum Voraus in inniger Anbetung, wenn ich mich gewisser Standpunkte erinnere, wo ich vormals die Hand von oben nicht sah, die ich nachwärts so deutlich erkannte und fühlte. Nun, Kinder! Freunde! Geliebte! Prüfet alles, und das Gute behaltet.

I. Meine Voreltern.

Inhaltsverzeichnis

Dererwegen bin ich so unwissend als es Wenige seyn mögen. Daß ich Vater und Mutter gehabt, das weiß ich. Meinen sel. Vater kannt’ ich viele Jahre, und meine Mutter lebt noch. Daß diese auch ihre Eltern gehabt, kann ich mir einbilden. Aber ich kannte sie nicht, und habe auch nichts von ihnen vernommen, ausser daß mein Großvater M. B. aus dem Käbisboden geheissen, und meine Großmutter (deren Namen und Heimath ich niemals vernommen) an meines Vaters Geburt gestorben; daher ihn denn ein kinderloser Vetter J. W. im Näbis, der Gemeind Wattweil, an Kindesstatt angenommen; den ich darum auch nebst seiner Frau für meine rechten Großeltern hielt und liebte, so wie sie mich hinwieder als ein Großkind behandelten. Meine müterlichen Großeltern hingegen kannt ich noch wohl; es war U. Z. und E. W. ab der Laad.

Mein Vater war sein Tage ein armer Mann; auch meine ganze Freundschaft hatte keinen reichen Mann aufzuweisen. Unser Geschlecht gehört zu dem Stipendigut. Wenn ich oder meine Nachkommen einen Sohn wollten studiren lassen, so hätte er 600. Gl. zu beziehen. Erst vorm Jahr war mein Vetter, E. B. von Kapel, Stipendi-Pfleger. Ich weiß aber noch von keinem B. der studiert hätte. Mein Vater hat viele Jahre das Hofjüngergeld bekommen; ist aber bey einer vorgenommenen Reformation, nebst andern Geschlechtern, welche, wie das seinige, nicht genugsame Urkunden darbringen mochten, ausgemerzt worden. Mit der Genossami des Stipendii hingegen hat es seine Richtigkeit, obschon ich auch nicht recht weiß, wie es gestiftet worden, wer von meinen Voreltern dazu geholfen hat, u. s. f.

Ihr seht also, meine Kinder, daß wir nicht Ursache haben, ahnenstolz zu seyn. Alle unsre Freunde und Blutsverwandte sind unbemittelte Leuthe, und von allen unsern Vorfahren hab’ ich nie nichts anders gehört. Fast von keinem, der das geringste Aemtli bekleidete. Meines Großvaters Bruder war Mesmer zu Kapel, und sein Sohn Stipendipfleger. Das ist’s alles aus der ganzen weitläuftigen Verwandschaft. Da können wir ja wohl vor dem Hochmuth gesichert seyn, der so viele arme Narren anwandelt, wenn sie reiche und angesehene Vettern haben, obgleich ihnen diese keinen Pfifferling geben. Nein! Von uns B. quält, Gott Lob! diese Sucht, so viel ich weiß keinen einzigen; und ihr seht, meine Kinder! daß sie auch mich nicht plagt – sonst hätt’ ich wenigstens unserm Stammbaum genauer nachgeforscht. Ich weiß, daß mein Großvater und desselben Vater arme Leuthe waren, die sich kümmerlich nähren mußten; daß mein Vater keinen Pfenning erbte; daß ihn die Noth sein Lebenlang drückte, und er nicht selten über seinen kleinen Schuldenlast seufzte. Aber deswegen schäm’ ich mich meiner Eltern und Voreltern bey weitem nicht. Vielmehr bin ich noch eher ein Bischen stolz auf sie. Denn, ihrer Armuth ungeachtet, hab’ ich von keinem Dieb, oder sonst einem Verbrecher den die Justitz hätte straffen müssen, von keinem Lasterbuben, Schwelger, Flucher, Verleumder u. s. f. unter ihnen gehört; von keinem, den man nicht als einen braven Biedermann mußte gelten lassen; der sich nicht ehrlich und redlich in der Welt nährte; von keinem der betteln gieng. Dagegen kannt’ ich wirklich recht manchen wackern, frommen Mann, mit zartem Gewissen. Das ist’s allein, worauf ich stolz bin, und wünsche, daß auch Ihr stolz darauf werdet, meine Kinder! daß wir diesen Ruhm nicht besudeln, sondern denselben fortzupflanzen suchen. Und eben das möcht’ ich Euch recht oft zu Gemüthe führen, in dieser meiner Lebensgeschichte.

II. Mein Geburthstag. (22. Dezembr. 1735.)

Inhaltsverzeichnis

Für mich ein wichtiger Tag. Ich sey ein Bischen zu früh auf der Welt erschienen, sagte man mir. Meine Eltern mußten sich dafür verantworten. – Mag seyn, daß ich mich schon in Mutterleibe nach dem Tageslichte gesehnt habe – und dieß nach dem Licht sehnen geht mir wohl all mein Tage nach! Daneben war ich die erste Kraft meines Vaters – und Dank sey ihm unter der Erde, von mir auch dafür gesagt! Er war ein hitziger Mann, voll warmen Blutes. O ich habe schon tausendmal drüber nachgedacht, und mir bisweilen einen andern Ursprung gewünscht, wenn flammende Leidenschaften in meinem Busen tobten, und ich den heftigsten Kampf mit ihnen bestehen mußte. Aber, sobald Sturm und Wetter vorbey war, dankt’ ich ihm doch wieder, daß er mir sein feuriges Temperament mitgetheilt hat, womit ich unzählige schuldlose Freuden lebhafter als so viele andere Leuthe gemessen kann. Genug, an diesem 22. Dez. kam ich ans Tageslicht. Mein Vater sagte mir oft: Er habe sich gar nicht über mich gefreut: Ich sey ein armes elendes Geschöpf gewesen; nichts als kleine Beinerchen, mit einem verschrumpften Häutgen überzogen; Und doch hätt’ ich Tag und Nacht ein gräßliches Zettergeschrey erhoben, das man bis ins Holz hören konnte, u.s.f. Er hat mich oft recht bös damit gemacht. Dachte: Ha, ich werd’s auch gemacht haben, wie andre neugeborne Kinder! Aber die Muter gab ihm allemal Beyfall. Nun, es kann seyn.

Am H. Weihnachtstag ward ich getauft, in Wattweil; und ich freute mich schon oft, daß es gerad an diesem Tage geschah, da wir die Geburt unsers Hochgelobten Erlösers feyern. Und wenn’s eine einfältige Freude ist, was macht’s – giebt’s doch gewiß noch viel kindischre? H. G. H. von Kapel aus der Au, und A. M. M. aus der Schamatten, waren meine Taufpathen; Er ein feuriger reicher Junggesell, Sie eine bemittelte hübsche Jungfer. Er starb ledig; sie lebt noch im Wittwenstand.

In meinen ersten Lebensjahren mag ich wohl ein wenig verzärtelt worden seyn, wie’s gewöhnlich mit allen ersten Kindern geht. Doch wollte mein Vater schon frühe genug mit der Ruthe auf mich dar; aber die Mutter und Großmutter nahmen mich in Schutz. Mein Vater war wenig daheim; er brennte hie und da im Land und an benachbarten Orten Salpeter. Wenn er dann wieder nach Hause kam, war er mir fremd. Ich floh ihn. Dies verdroß den guten Mann so sehr, daß er mich mit der Ruthe zahm machen wollte. (Diese Thorheit begehen viele neuangehende Väter, und fordern nämlich von ihren ersten Kindern aus pur lauter Liebe, daß sie eine eben so zärtliche Neigung gegen sie wie gegen ihre Mütter zeigen sollten. Und so hab’ ich auch bey mir und viel andern Vätern wahrgenommen, daß sie ihre Erstgeborenen unter einer ungereimt scharfen Zucht halten, die dann bis zu den letzten Kindern nach und nach völlig erkaltet.)

III. Mein fernstes Denken. (1738.)

Inhaltsverzeichnis

Gewiß kann ich mich so weit hinab – oder hinauf – wo nicht gar bis auf mein zweytes Lebensjahr zurückerinnern. Ganz deutlich besinn’ ich mich, wie ich auf allen Vieren einen steinigten Fußweg hinabkroch, und einer alten Baase durch Gebehrden Aepfel abbetelte. – Ich weiß gewiß, daß ich wenig Schlaf hatte – daß meine Muter, um hinter den Großeltern einen geheimen Pfenning zu verdienen, des Nachts verstohlner Weise beym Licht gesponnen – daß ich dann nicht in der Kammer allein bleiben wollte, und sie darum eine Schürze auf den Boden spreiten mußte, mich nackt darauf setzte, und ich mit dem Schatten und ihrer Spindel spielte. – Ich weiß, daß sie mich oft durch die Wiese auf dem Arm dem Vater entgegentrug; und daß ich dann ein Mordiogeschrey anfieng, sobald ich ihn erblickte, weil er mich immer rauh anfuhr, wenn ich nicht zu ihm wollte. Seine Figur und Geberden die er dann machte, seh’ ich jetzt noch wie lebendig vor mir.

IV. Zeitumstände.

Inhaltsverzeichnis

Um diese Zeit waren alle Lebensmittel wohlfeil; aber wenig Verdienst im Lande. Die Theurung und der Zwölferkrieg waren noch in frischem Angedenken. Ich hörte meine Mutter viel davon erzählen, das mich zittern und beben machte. Erst zu End der Dreyßigerjahre ward das Baumwollenspinnen in unserm Dorf eingeführt; und meine Muter mag eine von den ersten gewesen seyn, die Löthligarn gesponnen. (Unser Nachbar, A. F. trug das erste um einen Schilling Lohn an den Zürchsee, bis er eine eigne Dublone vermochte. Dann fieng er selber an zu kaufen, und verdiente nach und nach etlich tausend Gulden. Da hörte er auf, setzte sich zur Ruhe, und starb.) In meinen Kinderjahren sind auch die ersten Erdapfel in unserm Ort gepflanzt worden.

V. Schon in Gefahr. (1739.)

Inhaltsverzeichnis

Sobald ich die ersten Hosen trug, war ich meinem Vater schon lieber. Er nahm mich hie und da mit sich. Im Herbst d. J. brannte er im Gandten, eine halbe Stunde von Näbis entfernt, Salpeter. Eines Tags nahm er mich mit sich; und, da Wind und Wetter einfiel, behielt er mich zu Nacht bey sich. Die Salpeterhütte war vor dem Tenn, und sein Bett im Tenn. Er legte mich darein und sagte liebkosend, er wolle bald auch zu mir liegen. Unterdessen fuhr er fort zu feuern, und ich schlief ein. Nach einem Weilchen erwacht’ ich wieder, und rief ihm – Keine Antwort. – Ich stund auf, trippelte im Hemdli nach der Hütte und um den Gaden überall herum, rief – schrie! Nirgends kein Vater. Nun glaubt ich gewiß, er wäre heim zu der Mutter gegangen. Ich also hurtig, legte die Höslin an, nahm das Brusttüchlin übern Kopf, und rannte in der stockfinstern Regennacht zuerst über die nächstanstossende lange Wiese. Am End derselben rauschte ein wildangelaufener Bach durch ein Tobel. Den Stäg konnt’ ich nicht finden, und wollte darum ohne weiters und gerade hinüber, dem Näbis zu; glitschte aber über eine Riese zum Bach hinab, wo mich das Wasser beynahe ergriffen hätte. Die äusserste Anstrengung meiner jugendlichen Kräfte half mir noch glücklich davon. Ich kroch wieder auf allen Vieren durch Stauden und Dörn’ hinauf der Wiese zu, auf welcher ich überall herumirrte, und den Gaden nicht mehr finden konnte – als ich gegen einer Windhelle zwey Kerls – Birn-oder Aepfeldiebe – auf einem Baum ansichtig ward. Diesen ruft ich zu, sie sollten mir doch auf den Weg helfen. Aber da war kein Bescheid; vielleicht daß sie mich für ein Ungeheuer hielten, und oben im Gipfel noch ärger zittern mochten, als ich armer Bube unten im Koth. – Inzwischen war mein Vater, der während meinem Schlummer nach einem ziemlich entfernten Haus gieng, etwas zu holen, wieder zurückgekehrt. Da er mich vermißte, suchte er in aller Winkeln nach, wo ich mich etwa mögte verkrochen haben; zündete bis in die siedenden Kessel hinein, und hörte endlich mein Geschrey, dem er nachgieng, und mich nun bald ausfindig machte. O, wie er mich da herzte und küßte, Freudenthränen weinte und Gott dankte, und mich, sobald wir zum Gaden zurückkamen, sauber und trocken machte – denn ich war mausnaß, dreckigt bis über die Ohren, und hatte aus Angst noch in die Hosen… Morndeß am Morgen führte er mich an der Hand durch die Wiese: ich sollt ihm auch den Ort zeigen, wo ich heruntergepurzelt. Ich konnt’ ihn nicht finden: Zuletzt fand Er ihn an dem Geschlirpe, das ich beym Hinabrutschen gemacht; schlug dann die Händ’ überm Kopf zusamen, vor Entsetzen über die Gefahren worinn ich geschwebt, und vor Lob und Preis über die Wunderhand Gottes, die mich allein erretten konnte: «Siehst du,» sprach er, «nur noch wenige Schritte, so stürzt der Bach über den Felsen hinab. Hätt’ dich das Wasser fassen können, so lägst du dort unten todt und zermürset!» Von allem diesem begriff ich damals kein Wort; ich wußte nur von meiner Angst, nichts von Gefahr. Besonders aber schwebten die Kerle auf dem Baum mir viele Jahre vor Augen, sobald mich nur ein Wort an die Geschichte erinnerte.

Gott! Wie viele tausend Kinder kämen auf eine elende Art ums Leben, wenn nicht deine schätzenden Engel über sie wachten. Und, o wie gut hat auch der meinige über mich gewacht. Lob und Preis sey dir dafür noch heute von mir gebracht, und in alle Ewigkeit!

VI. Unsre Nachbauern im Näbis.

Inhaltsverzeichnis

Der Näbis liegt im Berg, ob Scheftenau. Von Kapel hört man die Glocke läuten und schlagen. Es sind nur zwey Häuser. Die aufgehnde Sonne strahlt beyden gerad in die Fenster. Meine Großmutter und die Frau im andern Haus waren zwo Schwestern; fromme alte Mütterle, welche von andern gottseligen Weibern in der Nachbarschaft fleißig besucht wurden. Damals gab es viel fromme Leuthe daherum. Mein Vater, Großvater, und andre Männer, sahen’s zwar ungern; durften aber nichts sagen, aus Furcht sie könnten sich versündigen. Der Bätbeele war ihr Lehrer (seinem Bruder sagte man Schweerbeele), ein grosser langer Mann, der sich nur vom Kuderspinnen und etwas Allmosen nährte. In Scheftenau war fast in jedem Haus eins, das ihm anhieng. Meine Großmutter nahm mich oft mit zu diesen Zusammenkünften. Was eigentlich da verhandelt wurde, weiß ich nicht mehr; nur so viel, daß mir dabey die Weil verzweifelt lang war. Ich mußte mäuslinstill sitzen, oder gar knieen. Dann gab’s unaufhörliche Ermahnungen und Bestrafungen von den Baasen allen, die ich so wenig verstuhnd als eine Katze. Dann und wann aber stahl mich mein Großvater zum voraus weg, und mußt’ ich mit ihm in den Berg, wo unsre Kühe waideten. Da zeigte er mir allerley Vögel, Käfer und Würmchen, dieweil er die Matten säuberte, oder junge Tännchen, den wilden Seevi, u.s.f. ausraufte. Wenn er dann alles an einen Haufen warf, und’s bey einbrechendem Abend anzündete, da war’s mir erst recht gekocht. Anderer Buben, die etwa dabey seyn mochten, erinnere ich mich nicht mehr, wohl aber etlicher halberwachsener Meidlinen, die mit mir spielten. Ich gieng damals in mein sechstes Jahr; hatte schon zwey Brüder und eine Schwester, von denen es hieß, daß eine alte Frau sie in einer Butte gebracht.

VII. Wanderung in das Dreyschlatt. (1741.)

Inhaltsverzeichnis

Mein Vater hatte einen Wanderungsgeist, der zum Theil auch auf mich gekommen ist. In diesem Jahr kaufte er ein groß Gut (für 8. Kühe Sömmer-und Winterung), Dreyschlatt genannt, in der Gemeind Krynau, zu hinderst in einer Wildniß, nahe an den Alpen. Das nicht halb so grosse Gütchen im Näbis hingegen verkaufte er dafür: Weil er (wie er sagte) sah, daß ihn eine grosse Haushaltung anfallen wolle; damit er für viele Kinder Platz und Arbeit genug hätte; auch daß er sie in dieser Einöde nach seinem Willen erziehen könnte, wo sie vor der Verführung der Welt sicher wären. Auch rieth der Großvater, der von Jugend an ein starker Viehmann war, sehr dazu. Aber mein guter Aeti verbande sich den unrechten Finger, und watete sich, da er an das Gut nichts zu geben hatte, in einen Schuldenlast hinein, unter welchem er nachwerts 13. Jahre lang genug seufzen mußte. Also im Herbst 41. zügelten wir mit Sack und Pack ins Dreyschlatt. Mein Großäti war Senn; Ich jagte die Kühe nach; mein Bruder G. nur 20. Wochen alt, ward in einem Korb hingetragen. Mutter und Großmutter, mit den zwey andern Kindern kamen hinten nach; und der Vater, mit dem übrigen Plunder, beschloß den Zug.

VIII. Oekonomische Einrichtung.

Inhaltsverzeichnis

Mein Vater wollte doch das Salpetersieden nicht aufgeben, und dachte damit wenigstens etwas zu Abherrschung der Zinse zu verdienen. Aber so ein Gut, wie der Dreyschlatt, braucht Händ’ und Armschmalz. Wir Kinder waren noch wie für nichts zu rechnen; der Großäti hatte mit dem Vieh, und die Mutter genug im Haus zu thun. Es mußten also ein Knecht und eine Magd gedungen werden. Im folgenden Frühjahr gieng der Vater wieder dem Salpeterwerk nach. Inzwischen hatte man mehr Küh’ und Geissen angeschafft. Der Großäti zog jungen Fasel nach. Das war mir eine Tausendslust, mit den Gitzen so im Gras herumlaufen; und ich wußte nicht, ob der Alte eine grössere Freud an mir oder an ihnen hatte, wenn er sich so, nachdem das Vieh besorgt war, an unsern Sprüngen ergötzte. So oft er vom Melken kam, nahm er mich mit sich in den Milchkeller, zog dann ein Stück Brod aus dem Futterhemd, brockt’ es in eine kleine Mutte, und machte ein kühwarmes Milchsüpple. Das assen ich und er so alle Tage. So vergieng mir meine Zeit, unter Spiel und Herumtrillern, ich wußt’ nicht wie? Dem Großäti giengs eben so. Aber, aber – Knecht und Magd thaten inzwischen was sie gern wollten. Die Mutter war ein gutherziges Weib; nicht gewohnt jemand mit Strenge zur Arbeit anzuhalten. Es mußte allerhand Milch-und Werkgeschirr eingekauft werden; und, da man viel Waide zu Wiesen einschlug, auch Heu und Stroh, um mehr Mist zu machen. Im Winter hatten wir allemal zu wenig Futter – oder zu viel fressende Waar. Man mußt’ immer mehr Geld entlehnen; die Zinse häuften sich, und die Kinder wurden grösser, Knecht und Magd feißt, und der Vater mager.

IX. Abänderungen.

Inhaltsverzeichnis

Er merkte endlich, daß so die Wirthschaft nicht gehen könne. Er änderte sie also; und gab nämlich das Salpetersieden auf, blieb daheim, führte das Gesind selber zur Arbeit an, und war allenthalben der erste. Ich weiß nicht ob er auf einmal gar zu streng angefangen, oder ob Knecht und Magd, wie oben gesagt, sonst zu meisterlos geworden; kurz, sie jahrten aus, und liefen davon. Um die gleiche Zeit wurde der Großäti krank. Erst stach er sich nur an einem Dorn in den Daumen; der wurde geschwollen. Er band frischwarmen Kühmist drauf; da schwoll die ganze Hand. Er empfand entsetzliche Hitz’ darinn, gieng zum Brunnen, und wusch den Mist unter der Röhre wieder ab. Aber das hatte nun gar böse Folgen. Er mußte sich bald zu Beth legen, und bekam die Wassersucht. Er ließ sich abzäpfen; das Wasser rann in den Keller hinab. Nachdem er so 5. Monathe gelegen, starb er zum Leidwesen des ganzen Hauses; denn alle liebten ihn, vom Kleinsten bis zum Größten. Er war ein angenehmer, Freud’ und Friede liebender Mann. Er hatte an meinem Vater und mir ungemein viel gethan; und ich habe nie von keinem Menschen etwas Böses über ihn sagen gehört. Mein Vater und Mutter erzählten noch viele Jahre allerhand Löbliches und Schönes von ihm. Als ich ein wenig zum Verstand kam, erinnerte ich mich seiner erst recht, und verehrt’ ihn im Staub und Moder. Er liegt im Kirchhof zu Krynau begraben.

X. Nächste Folgen von des Großvaters Tod

Inhaltsverzeichnis

Nun wurde wieder eine Magd angeschaft; die war dem Vater recht, weil sie brav arbeitete. Aber Mutter und Großmutter konnten sie nicht leiden, weil sie glaubten, sie schmeichle dem Vater, und trag’ ihm alles zu Ohren. Auch war sie krätzig, so daß wir alle die Raud von ihr erbten. Und kurz, die Mütter ruhten nicht; sie mußte fort, und eine andre zu. Die war nun ihnen recht, aber dem Vater nicht, weil sie nur das Haus-aber nicht das Feldwerk verstand. Auch meinte er, sie helfe den Weibern allerhand verschmauchen. Jetzt gab’s bald alle Tag einen Zank. Die Weibervölker stunden zusammen; der Mann hinwieder glaubte, Er sey einmal Meister; und kurz, es schien als wenn der alte Näbis-Joggele einen guten Theil vom Hausfrieden mit sich unter den Boden genommen hätte. Aus Verdruß gieng darum der Vater einstweilig wieder dem Salpetersieden nach, übergab die Wirthschaft seinem Bruder N. als Knecht, und glaubte mit einem so nahen Blutsfreunde wohl versorgt zu seyn. Er betrog sich. Er konnt’ ihn nur ein Jahr behalten, und sah noch zu rechter Zeit die Wahrheit des Sprüchworts ein: Wer will daß es ihm ling, schau selber zu seinem Ding! – Nun gieng er nicht mehr fort, trat auf’s neue an die Spitze der Haushaltung, arbeitete über Kopf und Hals, und hirtete die Kühe selber; Ich war sein Handbub und mußte mich brav tummeln. Die Magd schafte er ab; und dingte dafür einen Gaißenknab, da er jetzt einen Fasel Gaissen gekauft, mit deren Mist er viel Waid und Wiesen machte. Inzwischen wollten ihn die Weiber noch immer meistern; das konnt’ er nicht leiden; ‘s gab wieder allerley Händel. Endlich da er einmal der Großmutter in der Hitz’ ein Habermußbecken nachgeschmissen, lief sie davon, und gieng wieder zu ihren Freunden in den Näbis. Die Sach’ kam vor die Amtsleuth. Der Vater mußt ihr alle Wochen 6. Batzen und etwas Schmalz geben. Sie war ein kleines bucklichtes Fräulein; mir eine liebe Großmutter; die hinwieder auch mich hielt wie ihr rechtes Großkind; aber, die Wahrheit zu sagen, ein wenig wunderlich, wetterwendisch; gieng immer den sogenannten Frommen nach, und fand doch niemand recht nach ihrem Sinn. Ich mußt’ ihr alle Jahr die Metzgeten bringen, und blieb dann ein Paar Tage bey ihr. Da war gut Leben: Ich ließ mir’s schmecken; ihre wohlgemeinten Ermahnungen hingegen zum einten Ohr ein, und zum andern wieder aus. Gewiß kein Ruhm für mich. Aber dergleichen Buben machen’s, leider Gott erbarm! so. Zuletzt war sie einige Jahr blind, und starb endlich in der Feuerschwand in einem hohen Alter An. 50. 51. oder 52. Sie vermachte mir ein Buch, Arndts wahres Christenthum, apart. Sie war gewiß ein gottseliges Weib, in der Schamaten hoch estimirt; und die Leuth dort sind mir noch besonders lieb um ihretwillen. Auch glaub’ ich gewiß noch Glück von ihr her zu haben; denn Elternsegen ruht auf Kindern und Kindskindern.

XI. Allerley, wie’s so kömmt.

Inhaltsverzeichnis

Unsre Haushaltung vermehrte sich. Es kam alle zwey Jahr geflissentlich ein Kind; Tischgänger genug, aber darum noch keine Arbeiter. Wir mußten immer viel Taglöhner haben. Mit dem Vieh war mein Vater nie recht glücklich; es gab immer etwas krankes. Er meinte, die starken Kräuter auf unsrer Waid seyen nicht wenig Schuld daran. Der Zins überstieg alle Jahr die Losung. Wir reuteten viel Wald aus, um mehr Mattland, und Geld von dem Holz zu bekommen; und doch kamen wir je länger je tiefer in die Schulden, und mußten immer aus einem Sack in den andern schleufen. Im Winter sollten ich, und die ältesten welche auf mich folgten, in die Schule; aber die dauerte zu Krynau nur 10. Wochen, und davon giengen uns wegen tiefem Schnee noch etliche ab. Dabey konnte man mich schon zu allerley Nutzlichem brauchen. Wir sollten anfangen, Winterszeit etwas zu verdienen. Mein Vater probierte aller Gattung Gespunst: Flachs, Hanf, Seiden, Wollen, Baumwollen; auch lehrte er uns letztre kämbeln, Strümpfstricken, u.d.g. Aber keins warf damals viel Lohn ab. Man schmälerte uns den Tisch, meist Milch und Milch; ließ uns lumpen und lempen, um zu sparen. Bis in mein sechszehntes Jahr gieng ich selten, und im Sommer baarfuß in meinem Zwilchröcklin zur Kirche. Alle Frühjahr mußte der Vater mit dem Vieh oft weit nach Heu fahren, und es theuer bezahlen.

XII. Die Bubenjahre.

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Indessen kümmerte mich alle dieß um kein Haar. Auch wußt’ ich eigentlich nichts davon, und war überhaupt ein leichtsinniger Bube, wie’s je einen gab. Alle Tag dacht’ ich dreymal ans Essen, und damit aus. Wenn mich der Vater nur mit langanhaltender oder strenger Arbeit verschonte, oder ich eine Weile davonlaufen konnte, so war mir alles recht. Im Sommer sprang ich in der Wiese und an den Bächen herum, riß Kräuter und Blumen ab, und machte Sträusse wie Besen; dann durch alles Gebüsch, den Vögeln nach, kletterte auf die Bäume, und suchte Nester. Oder ich las ganze Haufen Schneckenhäuslein oder hübsche Stein zusammen. War ich dann müd’, so setzt’ ich mich an die Sonne, und schnitzte zuerst Hagstecken, dann Vögel, und zuletzt gar Kühe; denen gab ich Namen, zäunt’ ihnen eine Waid ein, baut’ ihnen Ställe, und fütterte sie; verhandelte dann bald dies bald jenes Stück, und machte immer wieder schönere. Ein andermal richtete ich Oefen und Feuerherd auf, und kochte aus Sand und Lett einen saubern Brey. Im Winter wälzt’ ich mich im Schnee herum, und rutschte bald in einer Scherbe von einem zerbrochenen Napf, bald auf dem blossen Hintern, die Gähen hinunter. Das trieb ich dann alles so, wie’s die Jahrszeit mitbrachte, bis mir der Vater durch den Finger pfiff, oder ich sonst merkte, daß es Zeit über Zeit war. Noch hatt’ ich keine Cameraden; doch wurd’ ich in der Schule mit einem Buben bekannt, der oft zu mir kam, und mir allerhand Lappereyen um Geld anbot, weil er wußte, daß ich von Zeit zu Zeit einen halben Batzen zu Trinkgeld erhielt. Einst gab er mir ein Vogelnest in einem Mausloch zu kaufen. Ich sah täglich darnach. Aber eines Tags waren die Jungen fort; das verdroß mich mehr als wenn man dem Vater alle Küh gestohlen hätte. Ein andermal, an einem Sonntag, bracht’ er Pulver mit – bisher kannt’ ich diesen Höllensamen nicht – und lehrte mich Feuerteufel machen. Eines Abends hatt’ ich den Einfall: Wenn ich auch schiessen könnte! Zu dem End’ nahm ich eine alte eiserne Brunnröhre, verkleibte sie hinten mit Leim, und machte eine Zündpfanne auch von Leim; in diese that ich dann das Pulver, und legte brennenden Zunder daran. Da’s nicht losgehen wollte, blies ich… Puh! Mir Feuer und Leim alles ins Gesicht. Dieß geschah hinterm Haus; ich merkte wohl, daß ich was unrechtes that. Inzwischen kam meine Mutter, die den Klapf gehört hatte, herunter. Ich war elend bleßirt. Sie jammerte, und half mir hinauf. Auch der Vater hatte oben in der Waide die Flamm gesehen, weils fast Nacht war. Als er heimkam, mich im Bett antraf, und die Ursache vernahm, ward er grimmig böse. Aber sein Zorn stillte sich bald, als er mein verbranntes Gesicht erblickte. Ich litt grosse Schmerzen. Aber ich verbiß sie, weil ich sonst fürchtete, noch Schläge oben drein zu bekommen, und wußte daß ich solche verdient hätte. Doch mein Vater empfand wohl, daß ich Schläge genug habe. Vierzehn Tage sah’ ich keinen Stich; an den Augen hatt’ ich kein Häärlein mehr. Man hatte grosse Sorgen wegen dem Gesicht. Endlich war’s doch allmälig und von Tag zu Tag wieder besser. Jetzt, sobald ich vollkommen hergestellt war, machte der Vater es mit mir, wie Pharao mit den Israeliten, ließ mich tüchtig arbeiten, und dachte: So würden mir die Possen am beßten vergehen. Er hatte Recht. Aber damals konnt’ ich’s nicht einsehen, und hielt ihn für einen Tyrann, wenn er mich so des Morgens früh aus dem Schlaf nahm, und an das Werk musterte. Ich meinte, das wär’ eben nicht nöthig; die Kühe gäben ja die Milch von sich selber.

XIII. Beschreibung unsers Guts Dreyschlatt

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Dreyschlatt ist ein wildes einödes Ort, zuhinderst an den Alpen Schwämle, Creutzegg und Aueralp; vorzeiten war’s eine Sennwaid. Hier giebt’s immer kurzen Sommer und langen Winter; während letzterm meist ungeheuern Schnee, der oft noch im May ein Paar Klafter tief liegt. Einst mußten wir noch am H. Pfingstabend einer neuangelangten Kuh, mit der Schaufel zum Haus pfaden. In den kürzsten Tagen hatten wir die Sonn nur 5. Viertelstunden. Dort entsteht unser Rotenbach, der dem Fäsi in seiner Erdbeschreibung, und dem Walser in seiner Kart entwischte; ungeachtet er zweymal grösser als der Schwendi-oder Lederbach ist, der viele Mühlen, Sagen, Walken, Stampfen und Pulvermühlen treibt. Doch beym Dreyschlatt da hat es das herrlichste Quellwasser; und wir in unserm Haus und Scheur aneinander hatten einen Brunnen, der nie gefror, unterm Dach, so daß das Vieh den ganzen Winter über nie den Himmel sah. – Wenn’s im Dreyschlatt stürmt, so stürmt’s dann recht. Wir hatten eine gute, nicht gähe Wiese, von 40-50. Klafter Heu, und eine grasreiche Waide. Auf der Sommerseite im Altischweil ist’s schon früher, aber auch gäher und räucher. Holz und Stroh giebt’s genug. Hinterm Haus ist ein Sonnenrain, wo’s den Schnee wegbläst, der hingegen an einem Schattenrain vor dem Haus im Frühjahr oft noch liegen bleibt, wenn’s an jenem schon Gras und Schmalzblumen hat. Am frühsten und am späthsten Ort auf dem Gut trift’s wohl 4. Wochen an.

XIV. Der Geißbube.

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Ja! ja! sagte jetzt eines Tags mein Vater: Der Bub wächst, wenn er nur nicht so ein Narr wäre, ein verzweifelter Lappe; auch gar kein Hirn. Sobald er an die Arbeit muß, weißt er nicht mehr was er thut. Aber von nun an muß er mir die Geissen hüten, so kann ich den Geißbub abschaffen. – Ach! sagte meine Mutter, so kommst du um Geissen und Bub. Nein! Nein! Er ist noch zu jung. – Was jung? sagte der Vater: Ich will es drauf wagen, er lernt’s nie jünger; die Geissen werden ihn schon lehren; sie sind oft witziger als die Buben. Ich weiß sonst doch nichts mit ihm anzufangen.

Mutter. Ach! was wird mir das für Sorg’ und Kummer machen. Sinn’ ihm auch nach! Einen so jungen Bub mit einem Fasel Geissen in den wilden einöden Kohlwald schicken, wo ihm weder Steg noch Weg bekannt sind, und’s so gräßliche Töbler hat. Und wer weiß, was vor Thier sich dort aufhalten, und was vor schreckliches Wetter einfallen kann? Denk doch, eine ganze Stund weit! und bey Donner und Hagel, oder wenn sonst die Nacht einfällt, nie wissen, wo er ist. Das ist mein Tod, und Du mußt’s verantworten.

Ich. Nein, nein, Mutter! Ich will schon Sorg haben, und kann ja drein schlagen wann ein Thier kommt, und vor’m Wetter untern Felsen kreuchen, und, wenn’s nachtet, heimfahren; und die Geissen will ich, was gilt’s, schon paschgen.

Vater. Hörst jetzt! Eine Woche mußt’ mir erst mit dem Geißbub gehen. Dann gieb wohl Achtung wie er’s macht; wie er die Geissen alle heißt, und ihnen lockt und pfeift; wo er durchfahrt, und wo sie die beßte Waid finden.

Ja, ja! sagt’ ich, sprang hoch auf, und dacht’: im Kohlwald da bist du frey; da wird dir der Vater nicht immer pfeifen, und dich von einer Arbeit zur andern jagen. Ich gieng also etliche Tag mit unserm Beckle hin; so hieß der Bub; ein rauher, wilder, aber doch ehrlicher Bursche. Denkt doch! Er stuhnd eines Tags wegen einer Mordthat im Verdacht, da man eine alte Frau, welche wahrscheinlich über einen Felsen hinunterstürzte, auf der Creutzegg todt gefunden. Der Amtsdiener holte ihn aus dem Bett nach Lichtensteig. Man merkte aber bald, daß er ganz unschuldig war, und er kam zu meiner grossen Freud noch denselben Abend wieder heim. – Nun trat ich mein neues Ehrenamt an. Der Vater wollte zwar den Beckle als Knecht behalten; aber die Arbeit war ihm zu streng, und er nahm im Frieden seinen Abschied. – Anfangs wollten mir die Geissen, deren ich bis 30. Stück hatte, kein gut thun; das machte mich wild, und ich versucht’ es, ihnen mit Steinen und Prügeln den Meister zu zeigen; aber sie zeigten ihn mir; ich mußte also die glatten Wort’ und das Streicheln und Schmeicheln zur Hand nehmen. Da thaten sie, was ich wollte. Auf die vorige Art hingegen verscheucht’ ich sie so, daß ich oft nicht mehr wußte was anfangen, wenn sie alle ins Holz und Gesträuch liefen, und ich meist rundum keine einzige mehr erblicken konnte, halbe Tage herumlaufen, pfeifen und jolen, sie an den Galgen verwünschen, brülen und lamentiren mußte, bis ich sie wieder bey einander hatte.

XV. Wohin, und wie lang.

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Drey Jahre hatte ich so meine Heerde gehütet; sie ward immer grösser, zuletzt über 100. Köpf, mir immer lieber, und ich ihnen. Im Herbst und Frühling fuhren wir auf die benachbarten Berge, oft bis zwey Stunden weit. Im Sommer hingegen durft’ ich nirgends hüten, als im Kohlwald; eine mehr als Stund weite Wüsteney, wo kein recht Stück Vieh waiden kann. Dann gieng’s zur Aueralp, zum Kloster St. Maria gehörig, lauter Wald, oder dann Kohlplätz und Gesträuch; manches dunkle Tobel und steile Felswand, an denen noch die beßte Geißweid zu finden war. Von unserm Dreyschlatt weg hatt’ ich alle Morgen eine Stund Wegs zu fahren, eh’ ich nur ein Thier durfte anbeissen lassen; erst durch unsre Viehwaid, dann durch einen grossen Wald, u. s. f. u. f. in die Kreutz und Querre, bald durch diese, bald durch jene Abtheilung der Gegend, deren jede ich mit einem eigenen Namen taufte. Da hieß es, im vordern Boden; dort, zwischen den Felsen; hier in der Weißlauwe, dort im Köllermelch, auf der Blatten, im Kessel, u. s. f. Alle Tage hütete ich an einem andern Ort, bald sonnen – bald schattenhalb. Zu Mittag aß ich mein Brödtlin, und was mir sonst etwa die Mutter verstohlen mitgab. Auch hatt’ ich meine eigne Geiß, an der ich sog. Die Geißaugen waren meine Uhr. Gegen Abend fuhr ich immer wieder den nämlichen Weg nach Haus, auf dem ich gekommen war.

XVI. Vergnügen im Hirtenstand.

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